: 100 Jahre weibliches Aufbegehren
■ Von lesbischen Künstlerinnen, bürgerlichen Hausfrauen bis zu den Nonnen des St. Franziskusstiftes stellen Schöneberger Frauen ihre Geschichte aus/ Eröffnung heute im Haus am Kleistpark
Schöneberg 1900: Ein Drittel aller erwerbstätigen Frauen verdingen sich als Dienstmädchen. Zugleich ist die wohlhabende Stadt eine Hochburg der bürgerlichen Frauenbewegung, aber nicht nur dieser. Zahlreiche Vereine zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit und zur Verbesserung der Stellung der Frau werden gegründet. Rund um die Bülowstraße entstehen in den 20er Jahren die ersten Lesbenklubs.
Die Geschichte der Frauen ihres Bezirks aufzuarbeiten hat sich die Arbeitsgruppe »Frauengeschichte« am Schöneberg-Museum zum Ziel gesetzt. Zwei Jahre lang loteten die Mitarbeiterinnen Bewegungs- und Handlungsräume von und für Frauen in den letzten 100 Jahren aus, erforschten »Verhältnisse und Verhinderungen« ihres Geschlechts. Das Ergebnis der lokalgeschichtlichen Recherchen wird heute abend um 19 Uhr im Haus am Kleistpark der Öffentlichkeit vorgestellt. In Bewegung — Frauen einer Großstadt heißt die Ausstellung, die in zwölf Installationen die Schwerpunkte der Geschichte von Frauen in Schöneberg aufzeigt. »Man redet von Weiblichkeit und meint, was man am Weibe wünscht«, steht über einem der drei Räume geschrieben, der die traditionellen Frauenberufe historisch dokumentiert. »Sanft, zart, fügsam und geduldig« waren nur einige der Attribute der angeblich weiblichen Norm.
Bereits 1894 forderte der »Verein Frauenwohl« in der Neuen Winterfeldtstraße das Frauenstimmrecht und die staatsbürgerlichen Rechte. Die »Befreiung der Frauen auch auf sexuellem Gebiet« hatte sich der 1905 gegründete »Bund für Mutterschutz« zum Ziel gesetzt. Führend im Bildungsbereich waren die Soziale Frauenschule (Vorläufer der heutigen FHSS) sowie das Pestalozzi- Fröbel-Haus, vor allem bei der Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen. Der Lette-Verein am Viktoria-Luise-Platz bildete bereits im Kaiserreich Photographinnen und Metallographinnen aus.
Auch heute ist Schöneberg ein Zentrum autonomer Frauenpolitik. In den 70er Jahren hat sich rund um die Potsdamer Straße ein Netz von Frauen- und Lesbenkultur entwickelt, das sich fernab der großen Öffentlichkeit bis heute erhalten hat und in der Ausstellung ebenfalls zu Wort kommt. »Frauen hatten damals wie heute ihre Orte und sind nicht spurlos durch die Geschichte gegangen, auch wenn es oft den Anschein danach hat«, kommentiert Ausstellungsmitarbeiterin Reingard Jäkl die zweijährige Recherche. »Was aus heutiger Sicht sehr bürgerlich erscheint, war oft ungeheuer progressiv. Und auch heute noch wird Bezirksgeschichte hauptsächlich als Männergeschichte verstanden.« An der Ausstellung beteiligt ist eine illustre Mischung von Frauen: Neben der FHSS und dem Pestalozzi-Fröbel-Haus lieferten sowohl das autonome Frauen-Multi-Media-Projekt »Pelze« (Potsdamer Straße) als auch Mitarbeiterinnen der Katholischen Schule St. Franziskus am Winterfeldtplatz ihre Beiträge. »Nicht mit Harmonie, sondern mit Power wurde die Ausstellung entwickelt«, erzählt Katharina Kaiser, Leiterin des Kunstamtes Schöneberg. »Es ist eine Chance, Frauen aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenzubringen.« In Bewegung — Frauen einer Großstadt ist bis zum 8. September dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr zu besichtigen. Mittwochs ist Frauentag. Jeannette Goddar
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