: Mr. Baker lächelt leider nur nach rechts
■ Die KSZE-Konferenz und was sonst noch 24 Stunden vor der Entscheidung über den künftigen Regierungssitz geschah
Berlin. Langsam, ganz langsam stiegen die 33 Außenminister und die beiden Außenministerinnen den roten Teppich am Hauptportal des Reichstages hinab. Dann verteilte sich der schwarzblaue Politpulk auf die Empore — diejenigen Außenminister, die trotz größter Anstrengungen nicht über 1,70 Meter hinausgewachsen waren, durften auf die zweite Stufe klettern und der internationalen Presse von dort aus entgegenlächeln.
32 Außenminister trugen unauffällige Krawatten. Nur Jean-Lois Tauran trug keine: Der Vertreter des Vatikanstaates war in Kirchenkluft zum Fototermin erschienen. Sodann machten über 50 Fotografen und Kameraleute das gleiche »Familienfoto«, ein paar Reporter riefen US- Minister Baker zu, ob er auch mal zu ihnen herüberlächeln könne, doch Baker blieb hart und rief: »Ich schaue immer nur nach rechts!«
Anschließend delektierte sich die politische Klasse an gebeiztem Lachs mit Blattsalaten. Es folgten Kalbsrückensteaks mit Spargel, marinierte Erdbeeren mit Vanille-Eis und Schlagsahne. Da man in Deutschland dinierte, gab's deutschen Wein zu trinken: ein 87ger Dürkheimer Feuerberg (Gewürztraminer, trocken) sowie Geisenheimer Rothenberg, Riesling Kabinett Charta.
Die KSZE tagt im Reichstag, irgendwo in China fällt ein Sack Reis um, und in der Innenstadt staut sich wegen gesperrter Straßen kilometerlang der Autoverkehr.
Was sonst noch geschah: Wenige Stunden vor Beginn der Konferenz wurden im Stadtgebiet 38 Ampeln demoliert. 16 Anlagen fielen völlig aus — als dringend tatverdächtig nahm die Polizei zwei Frauen aus Kreuzberg fest. Sie hatten sich an einer Ampel in der Kaiserin-Augusta- Allee zu schaffen gemacht, Beamte stellten Säureflaschen sicher. Betroffen von der Aktion, die nach Einschätzung der Polizei politische Hintergründe habe, waren wichtige Kreuzungen wie etwa der Große Stern in Tiergarten. Die Täter hatten die Ampelkästen aufgebohrt und Säure hineingeschüttet.
In der Schöneberger Rankestraße — der Straße, in der US-Außenminister Baker mit Frau Gemahlin im Hotel Steigenberger wohnt — gingen Sicherheitskräfte den Anwohnern schon am Dienstag auf die Nerven. Eine 30jährige Frau, die dort vor zwei Wochen eine Wohnung bezogen hatte, mußte eine geschlagene Stunde mit Polizisten darüber verhandeln, ob sie nun eine Sicherheitssperre passieren dürfe oder nicht. Sie wurde schließlich, in der Begleitung zweier Beamter, zum Hauseingang eskortiert. Das Abschleppen ihres Wagens konnte die Neu-Berlinerin gerade noch verhindern, Dutzende andere Autos von Anwohnern wurden dagegen rigoros entfernt. Nun verläßt sie ihre Wohnung nur noch mit Personalausweis, Fahrzeugpapieren, Führerschein und Mietvertrag.
All dies geschah etwa 24 Stunden vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages über den künftigen Sitz der Regierung - Bonn oder Berlin. Am Potsdamer Platz wog eine Kastanie im Wind, am Kurfürstendamm grasten Kühe. Und die letzte, hoffentlich wirklich allerletzte Meinungsumfrage zu diesem Thema endete am Mittwoch um 13.00 Uhr ergebnislos: »Lot mi tofreeden, mien Jung!« herrschte ein alter Berliner den 'dpa‘-Reporter an, der mit dem Auftrag, ein nettes Feature über das 320 Einwohner kleine Dorf Berlin zu schreiben, nordwestwärts nach Schleswig Holstein gefahren war. CC Malzahn
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