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Kritik ist nicht Zensur

Ungehaltene Bemerkungen zum DEFA-Geburtstagsheft der Zeitschrift 'Film und Fernsehen‘  ■ Von Christiane Peitz

In der Mitte fehlt etwas. Nach einleitenden Worten, einem Interview mit Angelica Domröse und wohlwollender Würdigung der ersten Nachkriegs-DEFA-Filme bricht die chronologische Erinnerung an die nun 45 Jahre alten Babelsberger Studios mit Ulrich Gregors Bemerkungen zu Staudtes Der Untertan von 1951 ab. 17.Juni, Mauerbau und Aufbruchsstimmung, 11.Plenum und das Verbot der Kaninchenfilme, Biermann und Folgen — all das findet, abgesehen von ein paar Randbemerkungen, im DEFA- Geburtstagsheft von 'Film und Fernsehen‘ auf nur einer Seite Platz. Helma Sanders-Brahms lobt Kurt Maetzigs Tresorfilm von 1965 Das Kaninchen bin ich als zutiefst pessimistischen Film. Pessimistisch deshalb, weil die Heldin am Ende voran kommt, indem sie sich keine Illusionen mehr macht. Maetzigs „Kotau vor den Mächtigen“ — der Regisseur übte damals öffentliche Selbstkritik im 'Neuen Deutschland‘, eine Reaktion, die er noch Anfang 1990 mit dem Hinweis auf die stalinistischen Methoden des Politbüros verteidigte — ist Sanders-Brahms ganze drei Zeilen wert. Die dringlichste, spannendste und komplizierteste Frage in Sachen DEFA, nämlich die nach der Zensur und inwieweit sie das Kunstwerk selbst anficht, die Frage also nach der „Komplizenschaft“ (Frank Beyer) zwischen Tätern und Opfern in den DEFA-Studios wird bestenfalls beiläufig gestreift.

Da, wo die Replik auf die 60er Jahre fehlt, sind eine Reportage über Babelsberg 1991 und ein Gespräch mit dem Brandenburger Kulturminister eingerückt: Ein Lamento auf das drohende Ende einer „Einrichtung von großer kultureller Bedeutung“ und das verlogene Versprechen eines Politikers, daß die DEFA doch ganz sicher erhalten bleibe. Das redaktionelle Vorwort des Hefts beschwört die Gefahr, daß „alte Verhinderer“ das Studio „zum Dienstleistungs- Betrieb“ degradieren; das Jammern über die Gnadenlosigkeit der freien Marktwirtschaft als Ersatz für die Beschäftigung mit dem 11.Plenum und der Zensur kann also kein Zufall sein. Sie entspricht einem spätestens seit der Christa-Wolf-Debatte häufig vorgebrachten Argument: Die Zensur war schlimm, der Markt ist nicht besser. Früher diktierte die Partei, jetzt herrscht die Diktatur des Geldes. Zwar hat letztere noch keinen Filmschaffenden ins Exil getrieben, außerdem kann selbst ein Achternbusch, dem der Innenminister Fördergelder verweigern will, seinen Anspruch vor Gericht einklagen. Aber solch pauschalisierender Weltanschauung kommt der konkrete Unterschied gar nicht erst in den Sinn.

„Die liebevolle Hingabe an den Beruf, eine gewisse Bescheidenheit und die Einordnung in eine soziale Gemeinschaft schöpferisch Tätiger, die sich hier (bei der DEFA) finden lassen, werden den meisten finanziell erfolgreichen Großproduzenten fremd sein“, heißt es in der Babelsberg-Reportage. Bei soviel Geschichtsverklärung haben Geschichten keinen Platz. In diesem Heft finden sie sich, wie im guten alten DEFA-Film, eher zwischen den Zeilen. Ein Beispiel: Arthur Pohls Kameramann Joachim Hasler erzählt von der Spielbank-Affaire (1956). Das Drehbuch stammt vom Reklamechef der Spielbank von Baden-Baden, der wegen Steuerhinterziehung in die DDR übergesiedelt war. Westliche Koproduzenten ermöglichten Außenaufnahmen in Lugano und Schweden. Die sozialistische DDR drehte also mit kapitalistischer Beteiligung nach dem Buch eines Steuerhinterziehers einen Film gegen Geldspiele. Als dieser erste Cinemascope-Film der DEFA endlich fertiggestellt war, durfte das farbenprächtige Werk in der DDR nur in Schwarzweiß gezeigt werden: Die Verantwortlichen fanden, so Hasler, „daß die Opulenz der Aufnamen von Lugano geradezu zur Republikflucht aufforderte“.

Konkret wird auch Domröse, wenn sie erzählt, daß die Stasi noch die Rollenbesetzungen absegnete. Oder Rolf Richter, der eindrücklich beschreibt, wie etwa Jürgen Böttchers Dokumentarfilm Rangierer (1973) symbolisch funktionierte, ohne symbolisch zu sein. Man sah die Züge auf dem Bahnhof und wußte, die können weg. Man selber saß im Kino und rührte sich nicht. Die ganze DDR — ein Filmtheater: „Die wirkliche Bewegung gab es nur für die Maschinen.“ Der überwiegende Rest ist verschwiemelte Metaphorik (Zukunft: „Der graue Dunst der Ungewißheit“), mißglückte Poesie („Es war in diesem Land, das ein anderes war“), verlogenes Pathos („Daß es solche Filme allzubald nicht mehr geben soll, ist nationale Schande“) oder angestaubte Halbwahrheit („In der DDR wurde mit dem Faschismus abgerechnet, in der BRD war die Restauration in vollem Gange“), kolportiert übrigens von Ost- und Westautoren.

Wirklich zur Sache geht es erst im „Nach-Wort“, einem offenen Brief von Thomas Knauf, dem Drehbuchautor von Michael Gwisdeks Treffen in Travers und Peter Kahanes Die Architekten, an den Filmemacher Dietmar Hochmuth und die Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa. Beide haben — in 'Zeit‘, 'Freitag‘, taz und 'tip‘ — keinen Hehl gemacht aus ihrer Kritik am DEFA-Film und aus personellen wie strukturellen Kontinuitäten. Knauf beschimpft sie als die „brillantesten Grabredner des DEFA-Films“ und als „ästhetische Abwickler eines Filmstudios, dem ihr ein gutes Jahrzehnt zugehört habt“. Er bezichtigt sie beim „Start in die Tiefebene des gesamtdeutschen Kinos“ der „gemeinen Disqualifizierung der Mitkonkurrenten“ und fordert sie auf, nicht mehr über DEFA-Filme zu schreiben, keine mehr zu drehen, und am besten auch nicht mehr an die DEFA zu denken. Er suggeriert, Dietmar Hochmuth habe seinen Förderungspreis der Akademie der Künste (West) nicht für seinen Film Motivsuche, sondern für seine Veröffentlichungen in der Westpresse bekommen und schreibt wörtlich: „Sich als Opfer des Systems (wenn die mich gelassen hätten, wie ich wollte) bei den neuen Tätern einzuschmieren, zeugt nicht eben von Lauterkeit und Größe“.

Nun haben sich Hochmuth und Bulgakowa meines Wissens niemals als Opfer der Zensur bezeichnet, geschweige denn bemitleidet. Sie gehören zu der ganz „normalen“ Spezies von Kulturschaffenden, die zwar viele ihrer Projekte nicht verwirklichen und etliches nicht schreiben durften, was sie dachten, die aber dennoch nicht außer Landes gingen oder getrieben wurden. Zur Zeit gehören sie zu den Wenigen aus der ehemaligen DDR , die schreiben, was sie denken und „uns Westler“ dankenswerterweise aufklären etwa über die Vergangenheit gewendeter Funktionäre. Wie sonst kann die auch in 'Film und Fernsehen‘ geforderte Erinnerung an das Vergangene wachgehalten werden? Daß es außer diesen beiden kaum andere tun, ist erstaunlich genug.

Wenn Knauf gönnerhaft meint, die beiden hätten nicht das Recht, „denen, die DEFA-Geschichte verantworten, die Arbeit abzunehmen“, denn sie seien „nicht genug verwickelt“, dann soll er bitte sagen, wo die Bekenntnisse des ehemaligen Filmministers Horst Pehnert oder die Selbstbefragung des ehemaligen DEFA-Generaldirektors Mäde nachzulesen sind. In Sibylle Schönemanns Dokumentarfilm Verriegelte Zeit steht Mäde hinterm Gartenzaun — „Rufen Sie mich an.“ — und verweigert später telefonisch jede Auskunft mit dem Hinweis auf seinen gesundheitlichen Zustand.

Noch fraglicher allerdings ist die Rede von den „neuen Tätern“. Mir ist nicht bekannt, daß 'Freitag‘, 'Zeit‘, taz und 'tip‘ je einen Film zensiert, verboten oder verhindert hätten oder daß sie Zensur, Verbot oder Verhinderung aktiv begleitet hätten wie seinerzeit das 'Neue Deutschland‘. Ein Filmverriß war damals nicht selten Auftragsarbeit des Politbüros und oft Auftakt für Berufsverbot, ein egal wie vernichtender Filmverriß in der Bundesrepublik kann bestenfalls ein paar Zuschauer vom Kinobesuch abhalten.

Knauf verwechselt Kritik mit Zensur. Die Ausladung der 'tip‘-Autorin Beate Ostermann zur Premierenfeier von Verriegelte Zeit — sie hatte den Film kritisiert — rechtfertigt Knauf mit der Frage: „Weshalb sollen sich Leute bei Empfängen durchfressen, die ihr Geld damit verdienen, anderer Leute Arbeit zu zensieren, solange nur ein deutscher Filmemacher am Hungertuch nagt.“ Ein bestürzendes Mißverständnis: Autoren wie Knauf haben offensichtlich immer noch nicht begriffen, daß Öffentlichkeit dazu da ist, um von ihr Gebrauch zu machen.

Film und Fernsehen: Apropos Defa . Sonderheft mit Unterstützung des Landes Brandenburg und der Stiftung Kulturfonds. 56 Seiten. 6 DM. Zu beziehen über die Redaktion 'Film und Fernsehen‘, Bassinplatz 4, 1560 Potsdam.

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