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Bei der Kehle erwischt

Billy Wilder, einer der größten Autorenfilmer, wird am Samstag 85 Jahre alt  ■ Von Karl Wegmann

Im Kino der sechziger Jahre tummelten sich jene jungen Künstler, die ihre Filme nach eigenen Büchern inszenierten, die möglichst auch noch die Produktion leiteten und ihrem Cutter genaue Anweisungen gaben. Es war die Zeit der Nouvelle Vague und der Wiederentdeckung der italienischen Neorealisten. Die französischen Rebellen — die meisten von ihnen hatten vorher als Kritiker der Zeitschrift 'Cahiers du Cinéma' gearbeitet — nannten sich Autorenfilmer, und jeder halbwegs intelligente Zuschauer, der auch Kritiken las, wußte, daß er ehrfürchtig erschaudern mußte, wenn im Vorspann ein Name wie Godard auftauchte. Es ist paradox, daß gerade zu dieser Zeit einer der größten Filmautoren sang- und klanglos unterging und es Jahre dauerte, bis man ihn „wiederentdeckte".

Als der Autorenfilm aufkam, schrieb Billy Wilder schon seit Jahrzehnten seine Bücher selbst, war an den Produktionen beteiligt und hatte als einer der ersten Regisseure Hollywoods das Recht auf den final cut. Doch die neuen Kritiker taten seine Arbeiten als albern und belanglos ab — oder aber die Filme bereiteten ihnen so viel Vergnügen, daß es ihnen unanständig vorgekommen wäre, sie als Kunst zu bezeichnen.

Billy Wilder war das egal. Er liebte sein Publikum, wollte unterhalten, amüsieren, manchmal auch trösten. Wilder hat sich nie darum bemüht, sich in die Köpfe von Filmtheoretikern, Filmhistorikern, Kritikern oder anderen Intellektuellen einzuschleichen: „Ich versuche einen Film so einfach und so elegant wie möglich zu drehen“, sagte er, „ohne Mätzchen, ohne Eisenstein- Einstellungen. Nicht so wie die jungen Regisseure, die mit der Kamera in der Gegend herumfuchteln oder eine Einstellung durch das Feuer im Kamin photographieren. Für mich muß alles eine Logik haben, muß der Zuschauer immer wissen, von wessen Standpunkt der Film ausgeht. Der Zuschauer muß die Handlung immer mit den Augen eines der Charaktere sehen. Aber nicht plötzlich ein Loch da im Boden machen, die Kamera darin verstecken und dann von schräg unten oder vom Kronleuchter aus photographieren! Das ist doch alles Kunstgewerbe. Wenn die Leute einmal interessiert sind, wenn sie gepackt zuschauen, wenn man sie also bei der Kehle erwischt hat — wenn dann plötzlich eine ganz ausgefallene Einstellung kommt, und einer sagt zu seinem Nebenmann: Schau doch mal, diese herrliche Einstellung!, das ist doch Scheiße, das schadet doch dem Film. Da zwingt man den Zuschauer, über die Technik nachzudenken. Ich will eigentlich, daß die Leute in meinen Filmen vergessen, daß es da eine Kamera und einen Regisseur gegeben hat. Sie sollen vergessen, daß das eine Leinwand ist, worauf sie blicken. Sie sollen meinen, sie seien mit den Personen der Handlung im selben Zimmer oder auf der selben Straße.“

Das erreicht Wilder vor allem über seine Dialoge. Wenn er Gloria Swanson in Sunset Boulevard sagen läßt, „We didn't need dialogues. We had faces“, so steckt darin natürlich eine Menge Wehmut über vergangene Zeiten. Die Zeit des Stummfilms war vorbei, jetzt herrschte das gesprochene Wort auf der Leinwand. Und mit Wörtern verstand Billy Wilder umzugehen wie kein anderer.

Seine Karriere als Journalist begann in Wien, später kam Wilder nach Berlin und schrieb in den 20er Jahren Reportagen für verschiedene Zeitungen. Da er von seiner Schreiberei nicht leben konnte, war er immer wieder zu Nebenjobs gezwungen. So arbeitete er mal als Reisebegleiter für den amerikanischen Regisseur Alan Dawn oder als Eintänzer im schicken Berliner Hotel Eden. Über diesen Tanzjob schrieb er eine Fortsetzungsserie für die 'B.Z. am Mittag‘ und war mit einem Schlag ein berühmter und begehrter Mann in der Stadt. Schon in dieser Reportage glänzt sein Dialogwitz und seine Begabung, selbst im Nebensatz noch einen Gag unterzubringen. Der 20jährige Wilder hätte als Starreporter sein Glück machen können, doch er ging lieber als Drehbuchautor in die Filmbranche und landete schließlich in Hollywood.

In den Drehbuchfabriken Hollywoods mühte sich damals eine Menge berühmter Schriftsteller ab. Alfred Döblin, Walter Mehring und Heinrich Mann arbeiteten an Büchern, die nie verfilmt wurden. F.Scott Fitzgerald wurde zur Verzweiflung getrieben, Raymond Chandler fing wieder an zu saufen, und Bert Brecht drehte fast durch, als man ihm die Anerkennung verweigerte, die er meinte, verdient zu haben.

Billy Wilder kam prima zurecht. Kaum war er angekommen, war er auch schon der bestbezahlte Drehbuchschreiber in Hollywood. Wilder nahm seine Arbeit ernst. Ein Geheimnis seines Erfolges war es, daß er nicht bereit war, wie viele seiner berühmten Kollegen, zwischen ernsthafter Literatur und Arbeiten für den Film Unterschiede zu machen. Ob einer große Dramen schrieb, Reportagen oder Drehbücher — Hauptsache, er schrieb, dann war er auch ein Schriftsteller.

Billy Wilders Filme, so vielseitig sie auch sind (es gibt bis heute keinen anderen Hollywood-Regisseur, der seine Vielseitigkeit auch nur annähernd erreicht hat), entstanden alle aus seiner Liebe zu Wort und Dialog. Sein Vorbild war Ernst Lubitsch. Für ihn schrieb er die Drehbücher zu Blaubarts achte Frau und Ninotschka, von ihm lernte er den subtilen Aufbau der Komik. Als Billy Wilder dann selbst inszenierte, startete er mit einer Komödie. Der Major und das Mädchen (1942) beginnt mit den Sätzen: „Im Jahre 1626 kauften die Holländer den Indianern Manhattan ab. Im Mai 1941 war kein Indianer mehr da, der das bedauerte.“ Der bissige Zynismus und die frechen Seitenhiebe auf eine verlogene Gesellschaftsmoral, Heuchelei und falsche Ehrbegriffe, gekoppelt mit handwerklichem Perfektionismus machen den berühmten Wilder- Touch aus. Man findet ihn in Frau ohne Gewissen, Das verlorene Wochenende, Boulevard der Dämmerung oder Reporter des Satans ebenso wie in seinen berühmtesten Komödien.

Die Zeit seiner größten Lacherfolge begann 1959 mit Manche mögen's heiß. Der Film wurde von allen Kritikern mit Superlativen bedacht, und das Publikum stürmte die Kinos. Marilyn Monroe war in Bestform, Tony Curtis nie wieder so gut und Jack Lemmons Komik einfach unwiderstehlich. Doch die Arbeit an dem Film hatte Billy Wilder bis an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben. Das nächste Projekt gingen er und sein Co-Autor I.A.L. Diamond etwas ruhiger an. Sie schrieben die Geschichte speziell für Jack Lemmon. „Unsere Argumentation war denkbar einfach“, erzählte später I.A.L. Diamond, „wir hatten das Gefühl, daß niemand bei Sinnen sein kann, der einen Film mit Jack Lemmon verpassen würde.“ Das Apartment (1960) wurde Wilders größter Erfolg. Er erhielt vier Oscars, für Drehbuch, Regie, Produktion und für den Film selbst.

Von nun an ging's bergab. Wilder hatte, wieder mit Diamond, ein richtig gemeines Drehbuch verfaßt. Er drehte in Berlin, machte sich über Russen und Amerikaner lustig und über die Deutschen sowieso. Aber während er noch am Schnitt für Eins, zwei, drei arbeitete, ließ Ulbricht die Mauer bauen. Und plötzlich fand man einen Film über das geteilte Berlin gar nicht mehr lustig. Die Amerikaner nicht und die Deutschen sowieso nicht. Eins, zwei, drei wurde Wilders erster kommerzieller Flop.

Von Irma La Douce, seiner nächsten Arbeit, waren Amerikas Kritiker ebenfalls entsetzt, doch das Publikum liebte ihn. Und selbst das änderte sich schlagartig, als 1965 Küß mich, Dummkopf in die Kinos kam. Plötzlich haßte halb Amerika Billy Wilder. Hatte er doch die Unverschämtheit besessen, die Ikone des Showbusiness, Dean Martin, als versoffenen, geilen Macho einzusetzen und Kim Novak als ebenso liebenswerte wie skrupellose Hure. Amerika war fertig mit Mr. Wilder. Aus Europa kamen zwar zur gleichen Zeit ähnliche Filme, die sich an den Sehgewohnheiten des Publikums vergriffen und den guten Geschmack mit Füßen traten, aber von Billy Wilder erwartete man etwas anderes. Der gehörte schließlich nicht zur Nouvelle Vague — oder doch?

Wilder drehte Das Privatleben des Sherlock Holmes, Extra Blatt, Fedora, er versuchte es mit Komödien, Melodramen und mit aggressivem Klamauk. Er wollte, wenn auch nicht geliebt, auf jeden Fall gesehen werden. Nichts zu machen. Alle Filme flopten an der Kinokasse.

Auch seiner letzten Komödie Buddy Buddy mit seinen langjährigen Freunden Jack Lemmon und Walter Matthau blieb der Erfolg verwehrt. Nach 1981 hat Billy Wilder keinen Film mehr gedreht. Daß er nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgt das Fernsehen. Immer noch laufen Filme wie Manche mögen's heiß oder Das Apartment zur besten Sendezeit und garantieren hohe Einschaltquoten.

In Hollywood weiß heute kein Mensch mehr, wie man Komödien schreibt und inszeniert. Dafür darf sich ein anderer Österreicher, Arnold Schwarzenegger, ungestraft an den Klassikern vergreifen. Für die Rolle eines Russen in Walter Hills Red Heat bediente sich Arnie bei Wilder und Lubitsch: „Ich sah Ninotschka mehrere Male und wußte, genau wie die Garbo muß ich die Rolle spielen.“ Wenigstens ist ein Lacher dabei herausgekommen, und den soll man ja, laut Lubitsch, niemals verachten.

Billy Wilder wird am Samstag 85 Jahre alt. Von seinem Witz hat er nichts verloren. Lubitsch ist für ihn nach wie vor der Größte und Godard hält er immer noch für einen Dilettanten, den er nur dafür bewundert, „daß er es immer wieder schafft, Geld aufzutreiben für seinen Scheißdreck“, wie er kürzlich in einem Gespräch mit Walter Matthau verraten hat. Das heutige Hollywood ödet ihn an: „Niemand redet über den Film, alle reden vom Geschäft. Sie brauchen ein Jahr, um ein Geschäft auszuhandeln, nicht, um einen Film zu machen. Sie sind nicht mehr vom Zelluloid besessen.“

In Berlin sind Wilder-Filme zur Zeit im 'Moviemento‘ und im 'Notausgang‘ zu sehen.

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