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»Nicht lügen, um mir das Leben zu erhalten«

■ Heute vor 51 Jahren wurde der Kriegsdienstverweigerer Hermann Stöhr in Plötzensee von den Nazis hingerichtet

Vor 51 Jahren — am 21. Juni 1940 — wurde Hermann Stöhr, einziger evangelischer Wehrdienstverweigerer während des deutschen Faschismus, in Plötzensee hingerichtet. Wegen »Wehrkraftzersetzung«. Vier Tage später wurde er im Wedding beigesetzt. Heute erinnert nur noch wenig an ihn, seine Grabstätte fiel 1978 dem Autobahnbau zum Opfer.

Stöhr wurde 1898 in Stettin geboren. Über seine Kindheit ist wenig bekannt; zum Pazifisten wurde er aber mit Sicherheit nicht erzogen. Er war Sohn eines preußischen Beamten, und alle Zeichen standen auf Krieg. »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte, drum gab er Säbel, Schwert und Spieß dem Mann in seine Rechte«, erklang es in der Kirche. Als es dann 1914 soweit ist, unterscheidet den 16jährigen Hermann Stöhr nichts von seinen Altersgenossen: Bei Kriegsausbruch meldet er sich freiwillig an die Front. »Fröhlich und vaterlandsfroh« sollen seine Berichte zunächst geklungen haben, doch das änderte sich gründlich. Hermann Stöhr verbrachte den größten Teil des Ersten Weltkrieges auf dem Schlachtkreuzer »Göben« an der Schwarzmeerfront. Dort lernte er — zusätzlich zu den Schrecken des Seekrieges — ein »Nebenprodukt« militärischer Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts kennen: den Völkermord. Im Schatten des Krieges entledigten sich die mit Deutschland verbündeten türkischen Machthaber eines innenpolitischen »Problems« — der Armenier.

Als sich 1933 ankündigt, was in der Folgezeit in Deutschland mit den Juden passieren wird, ist Stöhr einer der ersten, die protestieren. Er promoviert über »Die Auslandshilfe« im Nachkriegsdeutschland und wird Mitarbeiter bei verschiedenen evangelischen Friedens- und Sozialorganisationen. In seinen Aktionen prescht Hermann Stöhr oft vor, weiter als seine Mitstreiter, viel weiter jedenfalls, als es der evangelischen Kirche lieb ist. Vor allem setzt er sich für eine Aussöhnung mit dem »Erzfeind« Frankreich ein — nahezu im Alleingang. Denn in der evangelischen Kirche kochen wie vielerorts in Deutschland die patriotischen Gefühle hoch. Hermann Stöhr setzt sich in engagierten Zeitungsartikeln auch für die Sache der Polen ein. »Ungesühnt ist der deutsche Schuldanteil an den vier Teilungen Polens«, meint er. Zehn Jahre nach Stöhrs Plädoyer für Polen wird die evangelische Kirche emphatisch den Einmarsch der Hitlertruppen begrüßen: 1929 wird Stöhr in Ungnaden aus Kirchendiensten entlassen.

Kurze Zeit nachdem Hitler an die Macht gekommen war, wandte sich Hermann Stöhr an die Leitung seiner Kirche. Wenn sie »Nein« sagte, so seine Überzeugung, konnte schlimmeres verhindert werden. Es dauerte einige Monate, bis er begriff, daß auch in den Führungsetagen seiner Kirche statt christlicher Ethik faschistischer Machtpoker getrieben wurde. Am Ende des Jahres 1933 befand sich Hermann Stöhr zwischen allen Stühlen.

1939: Die Kriegsvorbereitungen erreichen ihren Höhepunkt. Der Einmarsch in Polen stand unmittelbar bevor, und die letzten Reserven wurden mobilisiert. Als Hermann Stöhr eine Einberufung zu einer Wehrübung erhielt, verweigerte er, ohne einen Moment zu zögern: »Den Dienst an der Waffe muß ich aus Gewissensgründen ablehnen. Mir wie meinem Volk sagt Christus, wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.« Unterstützung — oder wenigstens Verständnis — fand er auf keiner Seite. Das Reichskriegsgericht kam damals zu dem Schluß, daß es sich bei Hermann Stöhr um einen Sonderling allgemeingefährlicher Natur handeln müsse. Die evangelische Kirche hatte dem nicht viel hinzuzufügen. Zu oft hatte der Kirchenquerulant sich unbeliebt gemacht. Mit Protesten gegen die Judenboykotte beispielsweise oder gegen die Nazibeflaggung der Kirchen. Selbst der Theologe Dietrich Bonhoeffer warnte 1936 vor Stöhr.

Aussagen von Freunden und Familienangehörigen spiegeln den Versuch wider, Stöhr dadurch vor dem Fallbeil zu bewahren, daß sie ihn für verrückt erklärten. »Es hat«, wie Stöhr in seinem letzten Brief an die Mutter schreibt, »zwar nicht an mehr oder minder wohlgemeinten Versuchen gefehlt, die mich zu einer anderen Meinung zu bringen wünschten. [...] In Dingen einer von Gott geschenkten Erkenntnis aber zu lügen, nur um mir das kleine Leben zu erhalten, das ging nicht.« Birgit Krickau

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