: »Deutsche Liebe zur Gründlichkeit«
■ Die taz befragte am Rande des KSZE-Gipfels ausländische JournalistInnen zu ihrer Meinung zur »Hauptstadtfrage«/ Sieben von 12 Befragten sprachen sich eindeutig für Berlin aus/ Die emotionale Diskussion der Deutschen stieß bei auf Unverständnis
Jaroslav Zbozinek, Tschechoslowakische Presseagentur 'ctk‘: Ich glaube, daß der Bundestag das Problem verschieben wird. Aber letzten Endes wird Berlin Regierungs- und Parlamentssitz werden. 40 Jahre wurde allen Deutschen versprochen, daß Berlin nach einer Vereinigung Hauptstadt sein wird — mit allem, was dazugehört. Jetzt sollten die Leute dieses Versprechen auch einhalten. Zu der emotionalen Dauerdiskussion kann ich als Osteuropäer nur sagen: Solche Probleme wollte ich haben.
Heli Holm, TV-News, Finnland: Ich habe die Diskussion nicht so genau verfolgt, aber ich glaube, Berlin wird Hauptstadt. Ich stimme dem zu. Vom skandinawischen und finnischen Standpunkt aus ist Berlin die Brücke Europas. In Berlin leben die unterschiedlichsten Völker und Kulturen. Hier kann man fast alles finden, außerdem ist die Stadt wegen ihrer Geschichte sehr interessant. Die Debatte um die Hauptstadt finde ich witzig, man kann daraus gute Geschichten machen.
Christian Borch, TV-News, Norwegen: Bevor ich herkam, dachte ich, Berlin würde Hauptstadt, weil es mir wegen der Geschichte der Stadt logisch erscheint. Nach dem, was ich hier jetzt gehört habe, scheint es aber, als ob es auf Bonn hinausläuft. Die Debatte im Parlament erscheint mir etwas müßig, weil alles schon lange gesagt ist. Die Deutschen haben eine große Liebe zum Detail und zur Gründlichkeit...
Helma Coolman, NOS-TV, Niederlande: Die Gefühle der Deutschen, die mit dem Thema verbunden sind, machen die Entscheidung so schwierig. Hoffentlich kommt am Ende nicht so ein Kompromiß heraus, daß die Hälfte der Institutionen in Bonn bleibt und die andere nach Berlin kommt. Ich hoffe, daß ich noch wach bin, wenn die Entscheidung fällt — es scheint ja 50 zu 50 zu stehen. Ich habe keine richtige Meinung dazu, aber ich liebe Berlin, und jeder ökonomische Impuls wäre gut für die neuen Bundesländer.
Josep Lopez, TV-Valenciana, Spanien: Meiner Meinung nach ist die Hauptstadtfrage ein zweitrangiges Problem. Die Deutschen sollten darauf nicht soviel Energie verschwenden. Es gibt hier und in anderen Teilen Europas wichtigere Dinge zu lösen. Ich finde, Bonn sollte Hauptstadt bleiben. Ob man will oder nicht, Berlin ruft bei vielen Leuten Erinnerungen an die Vergangenheit hervor und weckt Gespenster.
Kenicki Kono, Tageszeitung 'Mainicki Shimbun‘, Japan: Ich mag die kleine, ruhige und gemütliche Stadt Bonn sehr. Ich kann verstehen, daß die Bonner sehr stolz sind, in der Hauptstadt des vereinigten Deutschland zu leben. Aber aus ökonomischen und politischen Gründen muß Berlin Hauptstadt werden.
Nikola Todoron, TV-News, Bulgarien: Die Hauptstadt wird Berlin heißen, das ist für mich keine Frage. Berlin ist die historische Stadt.
Lina de Lonet Delgado, Tageszeitung 'Publico‘, Portugal: Ich finde es sehr peinlich, was für Ausmaße die Diskussion um die Hauptstadt angenommen hat. Es ist schon erschreckend, wenn ein deutscher Politiker wie Norbert Blüm in einer Zeit der Integration Berlin im Bundestag damit ablehnt: »Wir wollen kein Drittes Reich.« Wenn die Deutschen Berlin wegen der Vergangenheit ablehnen, bedeutet das nichts anderes, als daß sie Angst vor sich selbst haben, wenn Berlin Machtzentrum wird. Mir ist es persönlich lieber, wenn die Regierung von Berlin weit weg bliebe. Jetzt ist Deutschland mit der Hauptstadt in Bonn näher an der Zentrale der EG in Brüssel. In Portugal wird immer Thomas Mann zitiert, der gesagt hat, Deutschland muß westlich sein, damit Europa nicht deutsch wird.
Marina Gazzo, 'Agence-Europa‘, Brüssel: Die Abstimmung wird sicher sehr knapp ausfallen. Die Regierungsinstitutionen zu trennen fände ich sehr schlecht, sie sollten in der gleichen Stadt sein. Ich fände es besser, wenn Bonn Regierungssitz bleibt, weil Bonn symbolisiert, daß Deutschland in Europa integriert ist. Die Zukunft von Berlin hängt von anderen Dingen ab. Daß die Debatte so emotional geführt wird, verstehe ich gut. Aber der apokalyptische Unterton, der in manchen Beiträgen wie zum Beispiel bei der 'Berliner Morgenpost‘ mitschwingt, führt für meine Begriffe zu weit.
Alan Ferguson, Tageszeitung 'Toronto Star‘, Kanada: Die einen Deutschen wollen den alten, bequemen Nachkriegsstatus behalten, wo alles organisiert ist und sie sich keine Sorge um ihre Rolle in der Welt zu machen brauchen. Die anderen haben realisiert, daß sie durch die neue Einheit mehr Verantwortung haben. Es gibt nur eine Antwort: Es muß Berlin sein.
Nomi Morris, Tageszeitung 'San Francisco chronicle‘, USA: Die Diskussion quält und schockt mich, weil es so aussieht, als ob Bonn gewinnt. Als die Mauer fiel, war jederman klar, daß Berlin wieder Hauptstadt wird. Ich finde, das ist man den neuen fünf Bundesländern schuldig.
Xavier Gautier, Tageszeitung 'Le Figaro‘, Frankreich: Die Art und Weise, wie sich die Hauptstadtfrage in den letzten sechs Monaten entwickelt hat, hat etwas Gespenstisches. In der Zeit des Golfkriegs hatte man den Eindruck, daß der Golkrieg weniger wichtig war als die Hauptstadtfrage. Die Abstimmung könnte knapp werden. Es steht zu befürchten, daß man nach der Abstimmung auf den gleichen Stand zurückkommt und es bis zu einer Entscheidung noch sehr lange dauern wird. Man hätte eine Drittlösung finden müssen, von der nicht nur Berlin und Bonn, sondern auch andere Städte partizipieren. Damit würde sich der Begriff Hauptstadt im Sinne von Europa ändern. Umfrage: Plutonia Plarre
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