GASTKOMMENTAR: Haider — spitze Nase im Wind
■ Generalprobe in Österreich: Nicht jeder ist Nazi, sondern nur jeder Zweite
Wir Österreicher sind gemütlich und heimtückisch. Wieder einmal spielen wir kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Wir machen Generalprobe für die Wende nach rechts. Die „Freiheitliche Partei Österreichs“, unter ihrem Chef Jörg Haider, 41, Skandalnudel Nummer eins der österreichischen Innenpolitik — mausert sich zur auffälligsten Partei rechts von der Mitte, gemessen an Deutschland, gemessen an ganz Westeuropa. Haider, der 1990 bei bundesweiten Wahlen 16,6 Prozent erreichte und 1989 in seiner politischen Heimat Kärnten 29Prozent — ließ dieser Tage den Satz fahren: „Im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht...“
Die Bundesregierung in Wien, eine rot- schwarze Koalition SPÖ/ÖVP, forderte daraufhin Haiders Rücktritt als Landeshauptmann von Kärnten. Das ist rechtlich bedeutungslos, politisch ein noch nie dagewesenes Ereignis. Haider könnte stürzen, um nach Neuwahlen desto höher zu steigen. In Deutschland blieb Schönhuber ein Zwerg. Allen potentiellen Drang nach weit rechts fing Kohl, ein zweiter Bismarck, elastisch auf durch seine Blitzwiedervereinigung. In Österreich sind wir schon weiter. Haider hängt am Zeiger der Geschichte, an der kommenden Neubewertung der Vergangenheit schreibt er mit, seine spitze Nase im Wind.
Freilich gereicht's Österreich ein bissel zur Ehre, daß so ein Geschrei gegen Haider ist. Man sieht, unser Volk besteht nicht aus lauter Nazis, sondern vielleicht nur zur Hälfte. Wahrscheinlich reicht's jetzt zu einer absoluten Mehrheit für den guten Kaiser Franz Vranitzky. Alle, die sich noch nicht sicher waren, ob sie Haider wählen sollen, sind sich jetzt sicher. Und alle, die sich noch nicht sicher waren, ob sie Vranitzky wählen sollen, sind sich jetzt sicher.
Zwischen den beiden Polen wird die ÖVP zerrieben. Kreisky wollte immer die Spaltung des bürgerlichen Lagers: die Schwächung der bis zu seinem Sonnenkönigtum mehrheitlichen ÖVP, die Stärkung der von ihm gehätschelten FPÖ. Jetzt hat er's. Hat es sich ausgezahlt? Joseph Roth läßt in seinem Roman Die Kapuzinergruft den altösterreichisch-polnischen Grafen Chojnitzki schimpfen wie folgt: „Die Alpentrottel, diese kretinischen Nibelungen...“ Sollte er recht haben? Günther Nenning
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen