: Äthiopien: „Aufbruch aus dem Despotismus“?
Der Vermittler in den Londoner Verhandlungen, Ababiya Abajobir, sieht Chancen für den Beginn einer neuen demokratischen Ära/ Nationalkonferenz am 1.Juli in Addis Abeba soll eine repräsentative Übergangsregierung vorbereiten ■ Von Uwe Hoering
Der 1. Juli ist der Tag der Wahrheit, meint Ababiya Abajobir. Denn dann wird in Addis Abeba eine Nationalkonferenz zusammentreten, die die Bildung einer Übergangsregierung vorbereiten soll. Und dann muß sich auch erweisen, ob die wundersame Wandlung der Äthiopischen Volksrevolutionären Demokratischen Front, der EPRDF, vom marxistisch-hoxhistischen Buhmann zum demokratischen Hoffnungsträger echt ist.
Der Jurist Ababiya hat an der Konferenz in London teilgenommen, die Ende Mai das Aus für die sozialistische Regierung in Äthiopien besiegelte. Alle beteiligten Befreiungsbewegungen — EPLF, EPRDF und OLF — hatten ihn als Vermittler akzeptiert. Der Oromo Ababiya war unter Mengistu erst Provinz-Gouveneur und Richter am Obersten Gerichtshof gewesen, bevor er in Ungnade fiel und neun Jahre lang von amnesty international als politischer Häftling betreut worden war.
In London, so erklärte diese Woche in Bonn Ababiya Abajobir, haben die Bewegungen die Grundlage für einen dauerhaften Frieden gelegt. Sie einigten sich auf eine „nationale Versöhnung und die Bildung einer repräsentativen Übergangsregierung“, die die demokratischen Rechte und Menschenrechte respektiert. Durch eine föderative Ordnung auf Basis des Selbstbestimmungsrechts aller Volksgruppen müsse die Vorherrschaft einer einzelnen Gruppe — wie bislang der Amharen — vermieden werden. Die Formel „Einheit durch Gleichheit“ könne das Auseinanderbrechen Äthiopiens verhindern und statt dessen zu einer „Einheit der Nationalitäten“ führen. Das sei möglicherweise sogar für die Eritreer akzeptabel, hofft er. „Dann haben sie die Wahl zwischen einem demokratischen Eritrea und einem demokratischen Äthiopien.“
Wahrheitstest Nummer 1 also: Wer nimmt an der Nationalkonferenz teil? Die EPRDF habe versprochen, daß niemand ausgeschlossen wird, daß alle politischen Bewegungen, alle Nationalitäten und ethnischen Gruppen, „das ganze gesellschaftliche Spektrum“, beteiligt werden sollen. Doch die überraschende Verlegung der Nationalen Konferenz vom ursprünglich geplanten Tagungsort London nach Addis Abeba erschwert die Teilnahme anderer Oppositionsgruppen, die im Exil sind. Ababiya beruhigt: „Sie können alle Garantien für ihre Sicherheit bekommen, die sie wollen.“ Eine dieser Gruppen, die Koalition Äthiopischer Demokratischer Kräfte (COEDF), beklagte nach dem Einmarsch den „Verrat der EPRDF“ und die dubiose Rolle der USA bei den Verhandlungen in London und warnt, daß „ein ,Friedensplan‘, der ohne die Beteiligung aller Parteien zustande kommt, weder für die COEDF noch für die übrigen Äthiopier bindend“ sei. Doch ob die Exilgruppen gegenwärtig ein Machtfaktor sind, läßt sich bezweifeln.
Wahrheitstest Nummer 2: Kann sich die Nationalkonferenz auf eine föderative, demokratische politische Ordnung einigen? Kann sie eine repräsentative Übergangsregierung bilden, die in der Lage ist, den Wiederaufbau, vor allem aber und zunächst einmal die Hungerhilfe zu organisieren? Das Problem: Demokratie und Föderalismus würden dazu führen, daß die EPRDF an Macht verliert. So würde zum Beispiel der Einfluß der Oromo, die knapp die Hälfte der Bevölkerung stellen, weit größer werden als bisher. Und trotz aller Versuche, sich einen gesamtäthiopischen Anstrich zu geben, hat die EPRDF wohl nur in der Provinz Tigray einen verläßlichen Rückhalt in der Bevölkerung — nicht aber in anderen Regionen, mit Sicherheit nicht in der Zentralprovinz und der Hauptstadt Addis Abeba.
Für die EPRDF, die gegenwärtig außer in Eritrea de facto militärisch und politisch das Sagen hat, bedeutet das eine schwierige Gratwanderung. Gerade ist ihr die Macht wie ein überreifer Apfel zugefallen. Nun soll sie diese Macht teilen, unter dem Druck des Westens, der die notwendige Hilfe an demokratische Formen bindet. Ababiya Abajobir ist optimistisch. Er sieht eine epochale Zäsur, die viele Beobachter bislang nur noch nicht mitbekommen hätten: Das „Zeitalter des Despotismus, des Totalitarismus und der Vorherrschaft einer Gruppe oder Region“, von Ioannes über Haile Selassie bis zu Mengistu, das sei vorbei. Jetzt sei die Tür offen für eine „Ära der Mitbestimmung des Volkes, der Gleichberechtigung, der Demokratie“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen