: Jugoslawien bleibt ohne Staatsoberhaupt
Belgrad (taz) — Gestern platzte zum wiederholten Mal die Wahl eines neuen jugoslawischen Staatsoberhauptes und Oberfehlshabers der Armee. Die Spitzenpolitiker aus Kroatien und Slowenien erschienen einfach nicht zum vereinbarten Spitzentreffen nach Belgrad. Ihre Begründung: In letzter Minute sei die geplante Übereinkunft, daß der Kroate Stipe Mesic neues Staatsoberhaupt werde, von Serbien überraschend zurückgezogen worden.
Von serbischer Seite blieb bisher eine Stellungnahme aus. Noch gestern hatte fast jede große Tageszeitung des Balkans prophezeit, Mesic werde nun endlich neues Staatsoberhaupt. Außerdem, so resümierte man, hätten die Spitzenpolitiker aller Republiken „Kompromisse“ gefunden, die am Freitag beim Besuch James Bakers in Belgrad vorgelegt werden sollten. Demnach wollten alle Republikspräsidenten dem US- Außenminister eine gemeinsame Plattform präsentieren, wie Jugoslawien in einen „Bund südslawischer Staaten“ mit Hilfe Europas und den USA umgekrempelt werden könnte.
Auf welche Gesprächspartner Baker nun stoßen wird, ist mittlerweile völlig unklar. Baker, der angekündigt hatte, den „jugoslawischen Staatschef“ und den albanischen Staatschef Ramiz Alia in der Kosovo-Frage an einen Tisch zu bringen, wird über die Reaktion Belgrads enttäuscht sein. Gestern berichteten gleich mehrere serbische Medien, die zwei Millionen Kosovo-Albaner würden sich auf einen Volksaufstand gegen Belgrad vorbereiten.
Unterdessen wollen Kroatien und Slowenien „von den südjugoslawischen Problemen“ nichts mehr wissen. Die Angst, in einen kriegerischen Konflikt mit Albanien aufgrund der unnachgiebigen Haltung Serbiens in der Kosovo-Frage hineingezogen zu werden, wurde gestern in beiden Parlamentshäusern der Republiken geäußert. In Zagreb wie in Ljubljana wird fieberhaft daran gearbeitet, wie man noch in diesem Monat Jugoslawien den Rücken kehren könne. Ohne Erfolg: Von 65 „Unabhängigkeitsgesetzen“ die zur Verabschiedung parat liegen, wurde in Zagreb in zwei Verhandlungstagen erst ein einziges verabschiedet. In Ljubljana ist gestern selbst ein Streit über die Gestaltung des „Staatswappens“ eine so heftige Debatte entbrannt, daß keine Einigung gefunden wurde.
Entgegen allen Versicherungen von Politikern hat sich Slowenien nun aber im „Zollkrieg“ der Bundesregierung gebeugt. Sloweniens stelvertretender Regierungschef unterschrieb in Belgrad eine Verpflichtung, daß diese Republik in Zukunft alle Zollgebühren an die Bundeskasse überweist. Bisher hatte Slowenien die Gelder für sich behalten worauf Jugoslawiens Regierungschef Markovic mit der zwangsweisen Eintreibung der Gelder gedroht hatte.
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