: Vom Ende einer Republik
■ Mit Berlin als Regierungssitz geht ein neuer Riß durch Deutschland
Vom Ende einer Republik Mit Berlin als Regierungssitz geht ein neuer Riß durch Deutschland
Nun haben sie also recht behalten. Diejenigen, die der Mantel der Geschichte streifte und die meinten, das kleine Bonn sei nun zu provinziell für das große neue Deutschland. Die Debatte im Bundestag, die, es sei vermerkt, nicht zuletzt auch deswegen beachtlich war, weil sie tatsächlich jenseits der Parteigräben geführt wurde, lieferte mit ihrer knappen Entscheidung für die Verlegung des Regierungssitzes das Tüpfelchen auf dem I. Im gesamten Prozeß der deutschen Vereinigung haben letzten Endes immer jene Optionen die Oberhand behalten, die in erster Linie deutsch und erst in zweiter Linie demokratisch waren. Es war bedrückend, mit ansehen zu müssen, daß keiner der Pro-Berliner in der Debatte demokratische, sondern nationale, soziale, psychologische oder symbolische Argumente ins Feld führte — auf jeden Fall solche, die mit Politik nichts zu tun haben, soweit man diese als jene Sphäre versteht, in der die Menschen über ihre Rechte und Freiheiten verhandeln. Die Krone setzte dem Willy Brandt mit seiner Bonn-Vichy-Gleichung auf.
Können die Deutschen endlich das Ende des US- Besatzungsterrors feiern? Kennen sie jetzt keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche? Vielleicht. Mag aber auch sein, daß das die Argumente der alten Männer sind, derer, die letztlich noch immer nicht darüber hinweggekommen sind, daß nicht sie, sondern die Alliierten den Nationalsozialismus besiegten — und die nun den nach ihnen Kommenden zumindest ein ebenso gußeisernes Korsett der Geschichte hinterlassen wollen. Das kleine Trüpplein derer, die da auf den Demokratisierungsschub aus dem Osten setzen, stimmte — wohl mangels konkreter Argumente — mit in den pickelhäubigen Tenor vom Ende der Bundesrepublik ein. Nach der vorgestrigen Entscheidung geht auch für die im Westen, die das nicht wollten und nicht wollen, kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Die Bundesrepublik ist tot. Beerdigt wurde sie durch die sogenannte friedliche Revolution in der DDR — die vor allem eine deutsche, und ganz und gar nicht laizistisch-demokratische war. Der Beitritt der Ex-DDR zur Nachkriegsneugründung Bundesrepublik erweist sich nun als der schnellste Weg in die deutsche Kontinuität. Die Argumente von der „natürlichen“ Haupstadt Berlin, der „Normalisierung“ Deutschlands etc. bis hin zu Brandts Vichy-Argument sprechen da eine klare Sprache. Die Koordinaten der Politik verändern sich dadurch entscheidend. Die bundesstaatlich-republikanische ist nicht mehr die Option, sondern nur noch eine: als Gegenmodell zur deutschnationalen.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch Preußen oder das, was davon übrig blieb, ist nicht mehr, was es einmal war. Die Kraft, die Mehrzahl der Bundesbürger, die immer noch westlich der Weser und südlich des Main lebt, zu dominieren, wird Berlin ein weiteres Mal nur schwerlich aufbringen. Eines aber ist gewiß: Jetzt geht ein Riß durch Deutschland, der sich als schwerer überwindbar denn alle Mauern erweisen könnte. Ulrich Hausmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen