: Freibrief für Antarktis-Ausbeutung
USA schaffen in letzter Minute, das von allen Staaten getragene Rohstoffmoratorium zu verwässern ■ Von Andrea Seibel
Berlin (taz) — Statt einer geplanten freudigen Geburtstagsfeier in Madrid nun Katzenjammer und Ärger: Zwar begehen die heute 39 Mitglieder des Antarktis-Vertrages am Wochenende das 30jährige Jubiläum ihrer Organisation. Doch der Höhepunkt ihrer Feier, die Paraphierung des am 30. April einstimmig beschlossenen Rohstoff-Protokolls, wurde vor wenigen Tagen durch einen plötzlichen Rückzug der USA vermasselt. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand, das Vertragswerk sei einfach „zu dicht“, wie US-Delegierte verlauten ließen: Das ursprüngliche Madrider Protokoll sieht ein 50jähriges Moratorium nicht nur für Rohstoffausbeutung, sondern auch Beschränkungen in der Forschung und verstärkte Umweltschutzmaßnahmen auf dem empfindlichen Riesenkontinent vor. Das Verbot für Rohstoffabbau hätte nach 50 Jahren nur durch eine Dreiviertel- Mehrheitsentscheidung aufgehoben werden können. Und darunter hätten sich alle 26 jetzigen Konsultativstaaten (d.h. die mit Stimmrecht) einstimmig befinden müssen, die auch das 1991er Protokoll gezeichnet haben. Beobachter wie die Greenpeace-Wissenschaftlerin Dr. Johanna Wesnigk hatten denn auch im April freudig verkündet, daß diese Regelung zwar nicht den „Weltpark Antarktis“ bedeute, aber durchaus akzeptabel sei, da eine Änderung sehr schwer werden würde.
Das hat auch die US-Delegation erkannt, die offenbar aus Washington nochmals Druck bekommen hat, die Option auf — bisher immer noch nur vermutete — antarktische Bodenschätze um jeden Preis offenzuhalten. Die USA forderten daraufhin vor wenigen Tagen „geringe Änderungen“, gingen aber prompt ans Herzstück und das Selbstverständnis der Organisation: das Konsensprinzip. Als erstes forderten sie, daß ein Staat — sollte es nach 50 Jahren nicht innerhalb von drei Jahren zu einer neuen, zufriedenstellenden Regelung kommen — aus dem Vertragswerk aussteigen und im Alleingang Rohstoffe abbauen könne. Genau diese rechtsfreien Räume versuchte ja das Zusatzprotokoll zu verhindern. In Madrid standen die USA zwar mit diesem Vorstoß allein, doch gelang der US-Delegation, die übrigen Unterzeichner-Staaten unter Druck zu setzen. Bisher haben alle Regierungen, einschließlich der Spätzünder Deutschland, Japan und England, die erstere Regelung akzeptiert. Doch der politische Druck, in Madrid am 23. Juni nach fast einem Jahrzehnt zäher Verhandlungen zu einem Abschluß zu kommen, ist sehr groß.
In der Nacht zu Freitag haben sich denn auch alle Beteiligten „nach zähen Verhandlungen bis tief in die Nacht“, wie es immer so schön heißt, auf einen neuen Entwurf geeinigt. Er besagt, daß ein Unterzeichnerstaat nach 50 Jahren aus dem Vertrag aussteigen kann, wenn 20 der 26 stimmberechtigten Mitgliedsstaaten zustimmen. Nach der derzeitigen Einigung, der die Regierungen bis Sonntag zustimmen sollen, kann also jeder Unterzeichnerstaat nach 50 Jahren im Alleingang mit Bergbauprojekten beginnen, wenn drei Viertel der 26 stimmberechtigten Mitgliedsstaaten zustimmen. Damit wäre der bisher einmalige Konsens der supranationalen Organisation in der Frage Naturschutz vor ökonomischen Partikularinteressen im Dienste der Menschheit zerstört. Was bleibt, ist ein verwässerter Kompromiß, der die „Antarktis zur Hälfte schützt und zur anderen Hälfte zur Ausbeutung unter ungeregelten Umständen freigibt“, wie Johanna Wesnigk meint. „Die USA“, so ihre bittere Erkenntnis, „bisher vorbildlich, besonders was Naturparks angeht, scheinen eine neue Politik der rücksichtslosen Ausbeutung aller Ressourcen zugunsten ihrer nationalen Energieverschwendungspolitik zu verfolgen, auch wenn dabei ein ganzer Kontinent auf der Strecke bleibt.“ Kann man da in Madrid überhaupt noch feiern?
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