piwik no script img

Rechenschaft nach fünfzig Jahren

Ein halbes Jahrhundert zu spät steht der Nazi-Kriegsverbrecher Josef Schwammberger vor Gericht  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Die ukrainische Wachmannschaft im Zwangsarbeiterlager Rozwadow ließ keinen am Leben. Zweihundert meist kranke Juden erschossen sie im Dezember 1942 auf Befehl der Lagerleitung in einem grausamen Massaker. Das polnische Lager mußte geräumt werden, die Häftlinge wurden in andere Arbeitsghettos und Konzentrationslager verteilt. Mit den Kugeln hatten sich die Nazi- Schergen den Abtransport der Schwächsten erspart.

Kommandant in Rozwadow war damals der SS-Oberscharführer Josef Schwammberger, der dort im September 1942 seine Karriere als Massenmörder begann. Fast fünfzig Jahre nach den Greueltaten mußte sich der heute 79jährige Kriegsverbrecher vor dem Stuttgarter Landgericht in einem der letzten großen NS- Prozesse verantworten. Schwammberger, der im Mai vergangenen Jahres von Argentinien ausgeliefert worden war, wird des Mordes an mindestens fünfzig Juden und der Beihilfe zur Ermordung weiterer 3.377 Menschen jüdischer Herkunft beschuldigt. Der Anklage zufolge hat Schwammberger die Verbrechen zwischen 1941 und 1944 in Polen während seines SS-Dienstes in Krakau sowie als Kommandant der Zwangsarbeiterlager Rozwadow, Mielec und des Ghettos A in Przemysl begangen. Für das Verfahren hat die Anklagebehörde mehr als hundert Zeugen benannt, darunter noch lebende ehemalige Lagerinsassen.

Die Staatsanwaltschaft hält Schwammberger vor, die Morde aus „eigener, angemaßter Machtfülle, eigenem Entschluß, aus Rassenhaß und überdies zum Teil grausam“ verübt zu haben; als „Befehlsempfänger“ soll er überdies an der Ermordung Tausender Menschen beteiligt gewesen sein und sie teilweise selbst angeordnet haben. Schwammberger, der in Stammheim in Untersuchungshaft sitzt, hat nach Angaben der Ankläger die Erschießung eines Menschen „unter besonderen Umständen“ eingeräumt, die übrigen Vorwürfe aber bestritten.

Jahrelang suchten Nazi-Jäger vergeblich nach dem ehemaligen SS- Oberscharführer, dem 1948 die Flucht aus einem Kriegsverbrecherlager gelungen war. Schwammberger lebte jahrelang unbehelligt in Argentinien, wo er bei Siemens in La Plata arbeitete. Mitarbeiter von Simon Wiesenthal, auf dessen Liste sich Schwammberger unter den zehn meistgesuchten NS-Verbrechern fand, gaben 1987 den argentinischen Behörden den entscheidenden Hinweis zur Festnahme. Der Auslieferung ging ein jahrelanges Tauziehen mit bundesdeutschen Behörden voraus. Der herzkranke Schwammberger, der nach seiner Verhaftung zeitweilig im Gefängnisspital lag, hatte gegen den ersten Auslieferungentscheid Rechtsmittel eingelegt.

Schwammberger, heißt es in dem 1972 erlassenen Haftbefehl, habe Hunderte Juden aus Mordlust getötet. Wer ihm nicht paßte, krank, unrasiert oder falsch gekleidet war, den ließ er erschießen oder griff selbst zur Waffe. Auch für die Ermordung eines Rabbiners, der am jüdischen Yom-Kippur-Feiertag die Arbeit verweigerte, soll Schwammberger verantwortlich sein. Als Lagerkommandant in Przemysl habe Schwammberger gleich zu Anfang mehrere Juden eigenhändig erschossen, berichteten Zeugen in den 60ern in einem Verfahren gegen Gestapo- Angehörige aus Przemysl. Dort war Schwammberger auch an einem weiteren Massaker beteiligt: Mehrere hundert Juden wurden im September 1943 von den Wachmannschaften ermordet. Sie hatten sich nach der Deportation von Juden versteckt gehalten und allmählich ergeben.

Nach Kriegsende konnten Franzosen den in Südtirol geborenen SS- Kommandanten bei Innsbruck einfangen. Bei der Festnahme fanden sich eine Menge Ringe, Ketten und Uhren in seinen Taschen — angeblich Geschenke dankbarer Juden, denen er Vorteile verschafft haben wollte. Gegenüber den französischen Besatzern gestand er die Ermordung von 35 Juden ein, die aus dem Przemysler Ghetto hatten fliehen wollen. „Ich weiß, warum ihr kommt“, soll er 1987 den argentinischen Polizisten gesagt haben, die ihn verhafteten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen