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„Es geht um Sicherheit und Ordnung“

■ taz-Gespräch mit Betroffenen über die Stimmung im Viertel / „Die Drogenszene muß zerschlagen werden“

Die Stimmung im Bremer Ostertor kippt. Immer mehr Anwohnerinitiativen sind nicht mehr bereit, die Konzentration der Drogenszene hier zu akzeptieren. Die taz sprach mit AnwohnerInnen über die Hintergründe.

Gesprächsteilnehmer:

Dieter Vogel (Name auf Wunsch geändert), der beim Steinernen Kreuz, in der Nähe der Drogenberatungsstelle Drobs, wohnt.

Rechtsanwalt Dirk Oelbermann, der Innensenator Peter Sakuth und Polizeipräsident Lueken wegen Duldung des Drogenhandels angezeigt hat.

Marlis Hestermann, Anwohnerin des Spielplatzes Gleimstraße.

George Kramann, verantwortlicher Arzt der medizinischen Ambulanz in der Drobs.

taz:Herr Vogel, Sie leben seit 1978 im Ostertor. Es hat seitdem eine schleichende Entwicklung zu einer immer auffälligeren Drogenszene gegeben. Dennoch wurde immer gesagt, daß das Viertel, sich durch die Toleranz seiner Bewohner auszeichnet, die auch mit den Problemen und den Menschen, die diese Probleme verursachen umgehen können. Das ändert sich jetzt. Warum?

Helmut Vogel: Die Entwicklung ist nicht schleichend, sondern exponential. Es war mal ganz erträglich, man hatte seine Dealer und seine Abhängigen, man hatte seine Penner und man kannte sie. In den letzten Jahren hat das expolisionsartig zugenonmmen. Besonders die polizeilich geduldete, wir würden fast sagen, unterstützte Dealerei: Wenn binnen eines Jahres das Auto mehrfach aufgebrochen wurde, in die Wohnung mehrfach eingebrochen wurde, die Kinder belästigt wurden, wenn denen Stoff angeboten wird, egal wie alt sie sind, wenn in den Vorgärten Stoff und Geld liegt, wenn die sich halbtotschlagen, dann ist das nicht mehr eine Sache, die man als Teilnehmer beobachtet, sondern man wird direkt konfrontiert. Ich wollte zum Beispiel mit meiner Tochter einen Füller bei Weller einkaufen. Da kommt man nicht rein. Da sind Spritzen. Da ist alles voller Blut. Das ist psychisch so stark, daß eine Mehrheit in den Initiativen mit dem Gedanken spielt, wegzuziehen.

Herr Oelbermann. Sie haben versucht, dem zuständigen Polizeisenator mit einer Strafanzeige ans Leder zu gehen. Sie gelten gleichzeitig als linker Sozialdemokrat. Wie kommen Sie dazu, nach mehr Polizei zu rufen?

Dirk Oelbermann: Die Strafanzeige richtet sich ja gegen den Polizeipräsidenten und den Innensenator, gegen die administrativ und politisch Verantwortlichen. Es geht ja nicht, daß alles immer auf die Verhältnisse als solche geschoben werden, es muß ja auch die Verantwortlichkeit an Personen fest gemacht werden. Die Anzeige ist mehr ein symbolischer Akt, weil andere Kommunikationsformen nichts gefruchtet haben. Bürgerinitiativen und der Beirat haben ja in vielfältigster Weise die Verhältnisse beklagt und nichts ist passiert. Welche Kommunikationsebene bleibt denn noch üblich, wenn der freie politische Diskurs ausgeschöpft ist?

Nun zu der anderen Frage: Wir haben hier immer so gelebt, daß man im Gespräch alle Probleme zwar nicht lösen, aber einbinden konnte. Und jetzt ist es so, daß es eine Subkulturgruppe gibt, die man argumentativ nicht mehr erreicht. Das ist auch eine Veränderung bei uns Bewohnern, daß wir sagen: Mit dieser Subkultur nicht mehr. Ich sehe da nur die Möglichkeit, daß die Gruppen, die für den Dialog nicht zu erreichen sind, in den Wohngebieten möglichst klein gehalten wird. Und

Mit mehr Polizei die offene Szene vertreiben?Foto: Jörg Oberheide

das geht nur mit repressiven Mitteln.

Frau Hestermann, Sie leben in der Nähe des Spielplatzes Gleimstraße gut. Beschreiben Sie doch einmal das Problem dort und besonders, wie Kinder auf den Drogenalltag dort reagieren.

Marlis Hestermann: Ich bin seit sechs Jahren dort Anwohnerin. Mein Sohn ist auch in den Kindergarten Gleimstraße gegegangen. Der kam nach Hause und hat gesagt: –Mama, wir haben mit der Schaufel Fromms oder Spritzen ausgebuddelt.– Da habe ich geschluckt und gedacht: Hoppla, gerade unter dem Aspekt, daß ich den Anspruch hatte, daß mein Kind in de Stadt mit den Realitäten konfrontiert wird. Das galt auch für viele andere Mütter. Inzwischen ist es nicht mehr so. Das kann nicht gelebt werden.

Jetzt meidet mein Kind den Spielplatz. Die machen in der Schule Unterricht zum Thema: Wie stelle ich mir meinen Spielplatz vor, und die Kinder gehen nicht mehr zum Spielplatz. Da findet sich dermaßen viel Dreck, da stellt sich dann ein Gefühl von Ekel ein, und das wollen die Kinder ausschließen. Und das geht nur, indem sie da nicht mehr hingehen.

Ich beobachte auch, daß es immer mehr Eltern gibt, die sich entscheiden, daß Viertel zu verlassen. Neuerdings sind hier wieder Häuser zu kaufen.

Wie nehmen die Kinder die Junkies wahr?

Hestermann: Mit einem Gefühl zwischen Gleichgültigkeit und Ekel. Mein Sohn neigt dazu, daß nur noch fragmenatrisch wahrzunehmen. Das mag ja gesund sein, aber wenn das für ein Leben lang konditioniert wird, dann ist das nicht mehr richtig. Denn eigentlich ist es ja wichtig, daß die Verelendung wahrgenommen wird. Aber wir stolpern doch schon über die Leute, und da will er das nicht mehr sehen.

Herr Kramann, Sie arbeiten seit eineinhalb Jahren als Arzt in der Drogenberatungsstelle Bauernstraße. Wie hat sich für Sie das Drogenproblematik dort verändert?

George Kramann:Es findet eine zunehmende Verelendung statt. Und es gibt es eine zunehmende Aggressivität und Brutalisierung. Das liegt daran, daß es nicht mehr vorwiegend Heroinabhängige sind. Es sind zunehmend Mehrfachabhängige. Das heißt: Sie nehmen andere Betäubungsmittel oder Schlafmittel. Das sind alles Mittel, die eher gleichgültig machen, also eine Flucht vor der

Realität bedeuten.

Dann ist aber zu beobachten, daß das Kokain immer stärker kommt. Dafür werden Kunden mit sehr aggressiven Mitteln angeworben, großenteils von der Schwarzafrikanern. Das ist ein offenes Geheimnis. Kokain hat die Wirkung, daß es aufputscht und aggressiv macht. Es erzeugt das Gefühl, man könne über sich hinauswachsen. So tritt häufig ein Kontroll-und Steuerungsverlust ein. Das macht sich bemerkbar, weil die Szene häufiger mit Hauen und Stechen aufeinander losgeht. Waffen sind keine Seltenheit mehr. Ich erlebe immer wieder in der Ambulanz, daß Leute mit Messern an Gürteln oder auch mit Gaspistolen kommen und ich dann sagen muß: ‘Hier ist ein waffenfreier Raum.‘ Dann gucken die mich ganz betreten an und sagen: 'Ich brauche aber diese Messer, um mich zu verteidigen, falls mich jemand angreift.‘

Methadon ist als Ersatzdroge für Kokaion nicht geeinet

Ein Hintergrund für die Zunahme von Kokain kann auch die in Bremen sehr weit vorangetriebene Methadonpraxis sein. Da werden die größeren Dealer im Hintergrund meinen, daß sie sich Absatzmarkt sichern müssen und das machen sie am besten mit Kokain. Denn Methadon ist als Ersatzdroge für Kokain nicht geeignet.

Nun ist es erst richtig laut um die Drobs geworden, als nebenan ein Haus gekauft werden sollte, um die medizinische Ambulanz mit vernünftigen Räumlichkeiten zu versehen. Sehen Sie das nicht mit Verzweiflung, daß die Lage vor Ort schon so zugespitzt ist, daß man nicht mehr in der Lage ist für ihre Arbeit Räumezu finden?

Kramann: Ich hatte nicht geahnt, daß es da einen so massiven Protest geben würde. Da unterscheiden sich auch unsere Sichtweisen. Das wäre ja keine Ausweitung gewesen. Es ging lediglich um eine bessere Ausstattung für das, was ich de facto jetzt unter sehr miesen Bedingungen mache.

Und da frage ich mich: Warum muß das so sein, daß alles was mit sozialen Randgruppen zu tun hat, auch vom Äußeren immer gleich erkennbar sein muß? Warum kann man nicht auch solchen Leuten ein ansprechendes Ambiente anbieten? Daraufhin ändert sich häufig auch das Verhalten der Betroffenen. Ob das letzlich in der Bauernstraße oder beim Hauptgesundheitsamt ist, ist nicht so wichtig. Wichtig ist aber für mich, daß das relativ szenenah

ist. Und: Es müssen genügend Räumlichkeiten für alle Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden, damit eine ausreichende Beratung stattfinden kann, die Angehörige mit einschließt und wo auch eine gute Krisenintervention möglich ist. Unter den räumlichen Bedingungen wie im Moment ist die Arbeit nur noch inhaltlich und zeitlich begrenzt machbar.

Was haben die Anwohner dagegen, daß Herr Dr. Kramann vernünftig arbeiten kann?

Vogel: Wenn das Angebot da ist, wird die Szene ausgeweitet. Dieses Angebot kann ruhig besser aussehen und menschenwürdiger sein.

Passen Sie die Zahl der Drogenabhängigen den Gegebenheiten an!

Nur: Passen Sie bitte schön die Zahl der Drogenabhängigen an die Möglichkeiten an, die das Viertel hat! Die Bauernstraße muß bleiben, als Modell für weitere dezentrale Einrichtungen in Bremen. Und nicht, weil es hier so gut geht, immer mehr da hinschicken. Es geht nicht, daß man ein Viertel und die Menschen kaputtmacht, nur weil es für die Nödeldödels politisch bequem ist, andere Stadtteile nicht zu belasten.

Kramann: Dezentralisierung findet seine Grenzen, wenn andere Stadtteile nicht willens sind, da mitzuziehen. Nehmen Sie das Beispiel Schwachhausen, wo ein betreutes Wohnprojekt errichtet wurde, jetzt aber wieder gekippt worden ist. Das ist auch eine Frage der Durchsetzungskraft und der finanziellen Mittel. Dezentralisierung ist wichtig. Für die medizinische Ambulanz ist das theoreisch auch machbar. Es würde jedoch den finanziellen Rahmen sprengen. Da würde zu wenig Personal zur Verfügung gestellt werden können.

Wird mit dem Schlagwort Dezentralisierung nicht Sand in die Augen gestreut? Die Strukturen im Ostertor haben sich doch über ein Jahrzehnt gebildet.

Kramann: Es wird sicher nicht sofort eine Veränderung eintreten. Das braucht einen längeren Zeitraum und wird wenn, dann überhaupt nur langfristig zu einer Entlastung des Viertels führen. Aber man muß anfangen. Zum Beispiel, indem die Methadonausgabe an den Wochenenden über die kassenärztlichen Ambulanzen läuft. Es ist schließlich eine Tätigkeit der Kassenärzte. Die Räume aber werden großzügigerweise

vom Gesundheitsamt zur Verfügung gestellt. Das ist aber eigentlich die Aufgabe der kassenärztlichen Vereinigung, für solche Räume zu sorgen. Die Wachmannstraße ist als Ambulanz vorhanden. Dort wehrt man sich aber gegen das Klientel.

Herr Oelbermann, in der Reaktion auf ihre Anzeige, hat ihr SPD-Ortsverein mit Kritik reagiert und noch mal Dezentralisierung gefordert. Ist das eine Alternative zu mehr Polizei?

Oelbermann: Dezentralisierung ist in Ordnung. Da ist keiner dagegen. Aber ob das der Königsweg ist, wenn man dort ein paar Projekte hat? Ich habe meine Zweifel, ob dann die Szene am Sielwalleck weggeht.

Die Duldung eine kriminelle Szene darf nicht sein

Daß hier eine offene kriminelle Szene geduldet wird, daß Händler und Konsumenten sich angstfrei bewegen dürfen — dies darf in einer Großstadt nicht sein. Man setzt sich auf die Parkbank und gibt sich einen Schuß, als ob das Essen und Trinken sei. Diese Szene muß zerschlagen werden. Wenn man hier wieder ein neues Angebot, eine Drogenambulanz in der Nähe des Sielwalls schafft, dann verstärkt man die Szene.

Das heißt Vorrang für Polizeipolitik.

Oelbermann: Gar keine Frage. Aber nicht mit verdeckt arbeitenden Beamten, wie das der Polizeipräsident sagt. Es geht doch nicht um Ermittlungserfolge. Das ist mir so wurscht. Es geht um Sicherheit und Ordnung.

Ist das auch für Sie die Strategie für einen Stadtteil, mit einem Drittel Grün-Wähler?

Hestermann:Der Gedanke an mehr Polizei erschreckt mich. Aber klar ist, daß das kurzfristig notwendig ist. Langfristig muß eine andere Politik gemacht werden. Denn ich halte es auch für äußerst schwierig, wenn hier die Polizei in Uniform erscheint. Da interessiert mich auch, wie es auf die Kinder wirkt, wenn zwei extreme Gruppen aufeinanderprallen und Räuber und Gendarm in reinster Form spielen.

Kramann: Man muß Dezentralisierung und verstärkte polizeiliche Präsenz zusammenfassen. Man kann nicht einfach hier mit polizeilicher Präsenz den Schwerpunkt zerstören. Man muß den Leuten auch an anderer Stelle etwas anbieten können.

Oelbermann: Wenn mehr als fünf Junkies zusammenstehen, dann muß man dazwischen gehen. Die Szene muß so weit zurückgedreht werden, daß das für die Wohnbevölkerung akzeptierbar ist. Wir sagen ja nicht, daß da kein Junkie stehen darf. Wenn es das Niveau erreicht, wie vor drei, vier Jahren, dann ist das in Ordnung. Und wenn sich dann einer ins Gebüsch schlägt und sich einen Druck setzt: Das sind wir doch gewohnt.

Wenn die Entwicklung sich nicht zurückdrehen läßt, welche Konsequenzen ziehen Sie dann?

Ich denke über Umzug nach

Hestermann:Mir ist das so unter die Haut gerutscht, daß ich über Umzug nachdenke.

Voigt: Mir geht es ähnlich. Man hält es nicht mehr aus. Ich empfinde es als Ghetto, wenn ich abends durch die Straßen gehe und überall sind die Rolläden runter oder Gitter davor. Ich wollte offen wohnen. Ich bin im Moment verzweifelt. Es beschäftigt mich nachts, es beschäftigt mich morgens, wenn da welche rumgelegen haben. Und das Fürchterliche ist: Man hilft dann auch nicht mehr. Ich habe Angst vor dem Augenblick, wo ich mit Wohlgefallen sehe, daß da einer krepiert.

Oelbermann: Wir diskutieren auch das Suchen einer anderen Immobilie. Ist doch ganz klar. Kurzfristig wollen wir im Herbst Zäune bauen. Früher haben wir Geld für die Entkernung gekriegt und jetzt werden wieder Mauern und Zäune gesetzt. Aber wenn das nicht hilft, dann anderswo eine andere Immobilie.

Kramann: Als Neubremer, spiele ich auch mit dem Gedanken, mich mehr ins Viertel zu orientieren, weil ich dieses soziale Netz auch aus Kreuzberg kenne. Ob ich das tatsächlich umsetze. ob ich Arbeiten und Wohnen wieder so verknüpfen will, das weiß ich nicht. Ich hab ja auch Kinder.

Fragen: Holger Bruns-Kösters

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