Maiskörner für die Hoffnung

■ Die peruanische Theatergruppe Yuyachkani im Haus der Kulturen der Welt

Sicherheit ist derzeit in Berlin großgeschrieben. Und daß es die KSZE mit ihrem neuen, gesamteuropäischen Sicherheitssystem ernst meint, bekam auch die peruanische Theatergruppe Yuyachkani zu spüren. Ihr für Mittwoch geplantes Gastspiel im Haus der Kulturen der Welt mußte aus »Sicherheitsgründen« kurzfristig verschoben werden. Europa ist mit sich beschäftigt, und die Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier wird erst 1992 aufgrund des 500jährigen Jahrestages gefeiert. Kein Platz also für peruanisches Theater während der diesjährigen Lateinamerika-Tage?

Daß Yuyachkani eine der aussagekräftigsten lateinamerikanischen Theatergruppen ist, bewies sie am Donnerstag mit ihrem 1989 uraufgeführten Stück »Contraelviento« (Gegen den Wind), mit dem die Gruppe derzeit auf Einladung von SUR, einem Berliner Verein für internationalen Kulturaustausch, auf Europatournee ist.

»Contraelviento« erzählt die Geschichte von zwei indianischen Schwestern und zeigt ihre jeweils unterschiedlichen Reaktionen auf die herrschenden Gewaltverhältnisse, von denen sie sich nicht überrollen lassen wollen. Die eine, Huaco, geht den Weg des bewaffneten, die andere, Coya, den des gewaltfreien Widerstands.

Die Berge öffnen sich, und Machula, der Vater, und seine beiden Töchter treten heraus. Der »equeqo«, eine andine Symbolfigur, betritt die Bühne, behängt mit den verschiedensten Miniaturen wie Radiorecorder, Geldscheinen, Spielzeug, aber auch Fotos von »Verschwundenen« des schmutzigen Krieges in Peru. Er symbolisiert im gesamten Stück die Wünsche der Menschen und ihr Bedürfnis nach Glück und nimmt die Erzählfigur ein. Er berichtet dem Publikum von Coya, einer Frau, die ihm vor langer Zeit einige Maiskörner übergab. Coya lebte mit ihrem Vater Machula und ihrer Schwester in einer andinen Dorfgemeinschaft. Durch ihre seherischen Fähigkeiten erkennt sie für die nahe Zukunft eine Zeit der Ruinen und Katastrophen. Da sie auch medizinisches Wissen besitzt und ihr Vater ihr einige Maiskörner anvertrauen will, die Symbole für Hoffnung des Überlebens der andinen Kultur und für eine friedliche Zukunft sind, wird Coya von der »China Diabla«, der Frau des Teufels und dem »Arcangel«, einm bewaffneten Erzengel, mit Hilfe eines Windes entführt, um deren Herrn, den »Carporal«, einen hochrangigen Teufel, zu heilen.

Huaco, die Schwester Coyas, greift zu den Waffen, weil sie glaubt, daß ihre Schwester ermordet wurde und sie diese rächen muß. Zwischen dem Carporal, der China Diabla und dem Arcangel auf der einen und dem Vater auf der anderen Seite entsteht ein Kampf, bei dem es letztlich um die Maiskörner als Träger von Hoffnung, Leben und Zukunft geht. Am Ende kann Coya dem »equeqo« einige Körner übergeben, so daß die Hoffnung auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Situation nicht verloren ist. Der »equeqo« verteilt diese Körner im Publikum, das auf diese Weise aufgefordert wird, selbst aktiv zu werden, sich nicht an die Situation von Gewalt und Gegengewalt zu gewöhnen und Auswege zu suchen.

Um die gesellschaftliche und kulturelle Realität Perus min einzubeziehen, greifen Yuyachkani in »Contraelviento« auf Mythen zurück. Ein konkretes, reales Ereignis liegt dem Stück gleichwohl zugrunde: das Massaker durch Regierungstruppen in dem Andendorf Soccos und die erfolglose Odyssee der einzigen Überlebenden dieses Massakers durch den peruanischen Justizapparat. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird mit phantasievollen Masken und einer musikalischen Theatersprache umgesetzt, die über die Aufarbeitung tagespolitischer Ereignisse weit hinausgeht.

Die schnell auftauchenden Figuren, die häufig benutzten Symbole und Anspielungen sowie die impulsiv einsetzende Musik, von den DarstellerInnen selbst gespielt, sind so beeindruckend, daß vor allem dem deutsch sprechenden Publikum viel abverlangt wird. Das Ende ist bewußt offen gehalten. Der bewaffnete Kampf wird nicht als wirksamer Weg zur Lösung der politischen Probleme propagiert, der legale Weg durch die staatlichen Institutionen erscheint aber auch aussichtslos. Yuyachkani wollen keine simplen Lösungsvorschläge für die Krise Perus geben oder diese nur widerspiegeln. »Ich erinnere mich«, »ich denke«, »ich überlege« ist die Übersetzung des indianischen Quechua-Begriffs »Yuyachkani«. Seit 20 Jahren erarbeitet diese Gruppe ihre Stücke selbst mit der Methode der »creacion colectiva«, ohne Direktor und nach basisdemokratischen Prinzipien. Und das, obwohl das Theater vom Staat in keiner Weise gefördert wird.

1988 startete Yuyachkani eine Kampagne zur Schaffung eines Kultur- und Theaterhauses in Lima, tatkräftig unterstützt von Gewerkschaften, Theaterleuten und Frauengruppen. Es dient heute nicht nur der Gruppe selber, sondern auch anderen Volkstheatergruppen. Die Mitglieder von Yuyachkani geben Theaterkurse und leiten eine Werkstatt für den Bau von Masken.

Die Realisierung dieses Theater- und Kulturhauses bedeutet einen gewichtigen Schritt hin zu kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten gerade der jungen Theatergeneration Perus in Zeiten der schwersten Krise der peruanischen Gesellschaft. Miguel Rubio, Gründungsmitglied von Yuyachkani und Regisseur von »Contraelviento«, beschreibt die Bedeutung ihrer Arbeit: »Wie sollen wir im heutigen Peru Theater machen, ohne daß unsere Arbeit ein einziger Aufschrei oder eine einzige Klage wird? Ist es da nicht ein Widerspruch, überhaupt Theater zu machen? Ein Luxus, zu dem wir nicht berechtigt sind? [...] »Contraelviento« ist unsere Antwort. Mit dieser Geschichte wollen wir versuchen, ein klein wenig Hoffnung beizusteuern, obwohl uns klar ist, daß wir, um diese Hoffnung zu erhalten, lernen müssen, in entgegengesetzter Richtung zu fliegen: Gegen den Wind.« Uli Stelzner