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Ein Wanderzirkus besiegt Frau Münchhausen

■ Trotz einer 21:24-Niederlage beim TSC Berlin gewannen die Handball-Frauen aus Leverkusen den Deutschen Handballpokal

Lichtenberg (taz) — Es war schon ein seltsamer Schlußakkord im Match um den Deutschen Handballpokal der Frauen zwischen dem TSC Berlin und Leverkusen. Fünf Sekunden vor Ende der Partie mogelte sich TSC-Torwartin Anett Kulke aus ihrem Gehäuse, schlich sich in die eigene Angriffsreihe, wo sie auch prompt bedient wurde und den Ball im Kasten der Chemiestädterinnen versenkte. Die Berlinerinnen herzten ihre erfolgreiche Partisanin zum 24:21-Sieg.

Doch wenige Augenblicke später gab die Schlußsirene das Zeichen zur Jubelarie für Leverkusen. Nach Addition beider Endspiele — die erste Auseinandersetzung hatte Leverkusen vor heimischer Kulisse mit 24:18 gewonnen — hieß der Gesamtsieger eben Leverkusen.

Kurios war auch die Vorgeschichte des zweiten Treffens in Lichtenberg. Dilettantisch wie eine Alternativklitsche vergeigte der rheinische Pillenkonzern seine Personalplanung. Vier Spielerinnen — allesamt Leistungsträgerinnen — konnten Urlaub nehmen, weil man es ihnen vor einem halben Jahr versprochen hatte. Zu allem Überfluß durfte sich auch Erfolgstrainer Volker Ligges vorzeitig sonnen: Die Clubleitung schickte ihn kurzerhand in die Wüste, weil der vielseitige Volker bereits mit seiner neuen Frauschaft Grün-Weiß Wiesbaden in der Bundesliga-Aufstiegsrunde antrat und deshalb unabkömmlich schien. Jack Kerovac feiert am Rhein offensichtlich seine unerwartete Renaissance!

Die Chemie beim hohen West-Favoriten stimmte also nicht, auch wenn man wenigstens drei Akteurinnen von der Algarve kurzerhand an die Spree einfliegen ließ. Die Zuschauer am Anton-Saefkow-Platz witterten die Chance auf Revanche ihres TSC gegen den Wanderzirkus und füllten die Sporthalle fast bis auf den letzten Platz. Es begann durchaus verheißungsvoll für die Ossis, die durchweg in Führung lagen. So hieß es nach gespielten 20 Minuten 10:7 für Berlin, und der Hallensprecher frohlockte: „Damit ist bereits die Hälfte des Hinspielrückstandes aufgeholt!“

Als ob sie dies nicht wollten, befiel die Angst die weiß-blauen Einheimischen, den Pokal in Empfang nehmen zu müssen. Ihre sonst so treffsicheren Torschützinnen Jana Budich oder Josefine Grosse hantierten ungewohnt nervös mit dem Ball und suchten viel zu zögerlich den Weg zum Erfolg. Folgerichtig hieß es nach den ersten 30 Minuten nur 12:11 für den TSC.

Nach der Halbzeitpause setzte sich die für das Publikum unerträgliche Dramaturgie fort. Zwei Tore Vorsprung — mehr gestatteten die Wessis den Weiß-Blauen nicht, auch wenn TSC-Chancen durchaus vorhanden waren. Aber Gabriele Laß im rheinischen Kasten parierte die gekonntesten Würfe. Und im Gegenzug setzten Leverkusens Corianna Kunze (acht Treffer) oder die vierfache Torschützin Rosa Schulskyte, je unspektakulärer, desto demütigender für den TSC, schmerzliche Nadelstiche ins Gehäuse der Anett Kulke.

Frau Kulke stahl zwar in den Schlußsekunden durch ihren Münchhausenritt auf der Lederkugel den Rheinischen die Show. Doch den Pokal konnte sie ihnen nicht entreißen. Während sich Leverkusens Frauen die Sektkorken um die Ohren schossen, dachte man bei den Gastgeberinnen wohl schon an die nächste Saison.

Denn mit Hübscher und Sekulic vom Lokalrivalen Tempelhof-Mariendorf stoßen zwei Rückraumschützinnen zum Ostberliner Erfolgsclub, die man bereits am Samstag dringend gebraucht hätte. So war auf beiden Seiten Lachen Trumpf. Denn Leverkusen kommt sicherlich wieder — denn auch der schönste Urlaub geht mal vorbei. Jürgen Schulz

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