: „Bohrlöcher dürfen nicht verrotten“
■ Mecklenburg-Vorpommern will seine Geothermalquellen verstärkt für die Eigennutzung anzapfen/ Wirtschaftsminister Lehment fordert die Kommunen auf, schnellstens Fördermittel zu beantragen
„Thermalwasser“ ist keineswegs nur ein mit Nasenklemme zu genießender plauschiger Rückgratstrudel in diversen Heilbädern. Thermalwasser ist vor allem auch eine im Irdischen schlummernde Heizung, um die auf dem deutschen Energiemarkt schon bald sehr kräftig gefeilscht werden könnte.
Während in den alten Bundesländern die Erdwärmenutzung bisher kaum eine Rolle spielte, soll sie in Mecklenburg-Vorpommern künftig gefördert werden. Dies ist das Ergebnis einer ersten Beratung des Bundesministeriums für Umwelt und Wirtschaft, der Treuhandanstalt sowie der Städte Waren und Neubrandenburg und ihrer Geothermie- Unternehmen. „Es muß verhindert werden, daß die zwanzig Bohrlöcher in Mecklenburg-Vorpommern verrotten“, forderte Wirtschaftsminister Conrad-Michael Lehment (FDP) und begrüßte, daß nach mehrfachem Drängen die Treuhandanstalt nun die von ihr verwalteten Heizzentralen der Kommunen in Neubrandenburg und Waren übergeben wird.
In Waren an der Müritz ist 1984 die erste geothermische Anlage in Betrieb genommen worden. Sie versorgt ein Wohngebiet (über 1.000 Wohnungen) mit Heizwärme. Die installierte Leistung der „GHZ“ (Geothermische Heizzentrale) beträgt 3,6 Megawatt. Architektonisch gesehen ist die Anlage in Waren zwar noch nicht der Weisheit letzter Schluß, aber ihr Flächenbedarf ist gegenüber herkömmlichen Heizwerken wesentlich geringer. Zwei weitere Anlagen liefern seit 1988 in Neubrandenburg (10 Megawatt) und Prenzlau (4,7 Megawatt) Heizwärme. Gebaut hat sie der damalige VEB Geothermie, ein in Neubrandenburg ansässiges Unternehmen, das Anfang der achtziger Jahre vom DDR-Ministerium für Geologie gegründet worden ist. Die 800 Beschäftigten des Betriebs haben sowohl die Erkundungen und Bohrungen als auch die komplette Errichtung der Anlagen ausgeführt.
Aber das Hauptproblem der Geothermie ist der hohe Investitionsaufwand. In der ehemaligen DDR kennen die Geothermiker zwar die Sedimentbeschaffenheit der Böden aufgrund der früheren Erdgas- und Erdölbohrungen. Doch wo neu erschlossen werden muß, wird es teuer. Ausgesprochen niedrig ist dagegen der Erzeugerpreis. Er liegt schon jetzt zwischen vier und zehn Pfennigen pro Kilowattstunde und kann weiter gesenkt werden.
Die Wirtschaftlichkeit der Geothermie ist jedoch vor allem eine Frage der jährlichen Auslastung. Die Heizzentrale in Neubrandenburg beispielsweise erreicht etwa 1.900 Betriebsstunden pro Jahr, wäre aber erst bei 4.000 rentabel. Für den im Winter anfallenden Spitzenbedarf ausgelegt, erreichen die Anlagen nur eine relativ geringe Betriebsstundenzahl.
Barbara Angelmi von der Geothermie GmbH sieht deshalb die Chance der Geothermie in der Kopplung mit anderen Heizwerken. Die geothermischen Anlagen könnten die Grundlast absichern, während für den Spitzenbedaf Zusatzheizungen vorhandener Erzeuger genutzt werden könnten. Am praktikabelsten jedoch wäre eine Einspeisung ins Fernwärmenetz.
Besonders effektiv arbeiten geothermische Heizanlagen immer dort, wo neben der Nutzung als Heizenergie noch andere Verwendungsmöglichkeiten gefunden werden. Bei einer Anlage, die in Neustadt-Glewe installiert werden soll, würde beispielsweise ein Lederwerk das über 200 Gramm Salz je Liter enthaltende Thermalwasser zur Gerbung benutzen. So wird die Geothermie auch für finanzschwache Kommunen erschwinglich.
Gegenwärtig hat die Geothermie GmbH noch keine Aufträge. Der Betrieb mit seinen 30 Mitarbeitern (früher 800) versteht sich als Engineering-Unternehmen, das hauptsächlich das Know-how der Geothermie anbietet. So haben die Ingenieure bei 30 Bohrungen in Mecklenburg-Vorpommern 29 mal heiße Quellen gefunden, die für fünf weitere Standorte genutzt werden könnten. In Stralsund ist eine geothermische Heizanlage in Vorbereitung. Weitere heiße Quellen lagern in Grimmen, Karlshagen, Pritzwalk und Neuruppin. Für ostdeutsche Fachleute ist es kein Geheimnis, daß die neuen Bundesländer bis südlich von Berlin und auch weite Teile der alten Bundesländer auf Heizenergie „schwimmen“. Das gilt besonders für Norddeutschland. In Schwerin, wo die Baupläne nur noch aus der Schublade gezogen werden zu brauchen, sind optimale Möglichkeiten gegeben. Die Geothermie-Zentrale mit ihren geplanten 25 Megawatt könnte in das 360-Megawatt- Fernwärmenetz eingespeist werden. Dazu wäre nur eine einzige neue Bohrung nötig, da vier vorhandene zur Zeit „brachliegen“. Das Schweriner Projekt könnte zum Modellfall und Durchbruch der Geothermie nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern werden.
Auf dem Gebiet der neuen Länder gibt es noch 17 solcher „abgeteuften“ Bohrungen, die problemlos genutzt werden könnten. Der Bedarf an dieser Energiegewinnung ohne Schornstein sei groß, so Wirtschaftsminister Lehment: „Mit der Sowjetunion, Island und Japan gibt es bereits erste Kontakte für eine mögliche Zusammenarbeit.“
Damit die ehrgeizigen Pläne für eine Erdwärmenutzung Wirklichkeit werden, liege es nun bei den Kommunen in Waren und Neubrandenburg, schnell Anträge auf Fördermittel beim Bundeministerium für Forschung und Technologie zu stellen. Dort ständen rund 3,9 Millionen Mark für investive Maßnahmen zur Verfügung. Auch im Nachtrags- Haushalt von Mecklenburg-Vorpommern seien Mittel für die Geothermie-Nutzung eingeplant. Claus Stäcker/taz
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