piwik no script img

Standbild

■ Die Moral des Suppentellers * "Nova. Das politische Magazin von Frauen", So, 21.10 Uhr, 3sat

Wo aber bleibt der Mensch?“ fragte die aspekte-Moderatorin Carola Wedel am vergangenen Freitagabend im ZDF, nachdem die Berliner Senatoren Hassemer und Roloff-Momin ihre planerischen Perspektiven für die frisch gekürte Hauptstadt formuliert hatten. Die Antwort ließ volle zwei Tage auf sich warten.

Erst am Sonntagabend enthüllte Nova im schwesterlichen 3sat-Kulturkanal den schrecklichen Befund: Der Mensch bleibt, wie einst der Skilangläufer Jochen Behle, verschollen und verloren, solange die „männliche Technik“ ihre Vorherrschaft über Natur, Gesellschaft und (Ehe- )Frau ausübt. Während des einstündigen „politischen Magazins von Frauen“, diesmal zum Thema Technik, ließen die beiden im gehetzten Wechselrezitativ auftretenden Moderatorinnen Monika Hoffmann und Tina Kowarsch keinen Zweifel daran aufkommen, daß Frauen die bessere, ja die wahre Seite des Menschseins an sich verkörpern. In prätentiöser Dramaturgie, suggestivem Tonfall und mit dem strengen Blick der Wissenden verkündeten sie das Credo von der Überlegenheit weiblicher Weltsicht und Moral.

„Ich verstehe nichts von Technik, aber ich glaube, daß sie den Menschen kalt und gefühllos macht.“ Dieses Bekenntnis einer alten Frau, die für die Bauarbeiter des tschechoslowakischen Atomkraftwerks Dokovany Kartoffeln schälen und Suppenteller spülen muß, wurde in Nova zur programmatischen Aussage. Der Versuch, den dialektischen Sprung vom Grunde des dreckigen Suppentellers zur Hochtechnologie der — männlichen — Kernspaltung zu unternehmen, verfing sich in einer pseudoaufklärerischen Mythologisierung der Technik selbst. So geriet der alle acht Filmbeiträge — von der männlichen Verhütungstechnik über vergessene Erfnderinnen bis zu den Schrecken von Tschernobyl — grundierende Empörungspegel mit der eigenen Beweisführung in Konflikt. Ein Hauch von double-bind. Einerseits stets Opfer männlicher Kältetechnik, ist der weibliche Wärmestrom andererseits flexibler, „mehrschichtiger“, wie Karin Diegelmann vom Ingineurinnenbund attestierte, also technisch avancierter als die Eindimensionalität des Mannes. Zugleich bestritten die befragten Ingenieurinnen, daß „Technik ein Geschlecht“ habe. Diese pragmatische Einstellung kulminierte in der Antwort einer hochqualifizierten Mitarbeiterin eines Rüstungskonzern auf die Frage, ob es „weibliche Waffen“ gebe: Jenseits der ästhetischen „Waffen einer Frau“ könne es nur darum gehen, Panzerfaust und Handgranate der weiblichen Muskelkraft anzupassen. Wer zum Thema „Chancen zur alternativen Technikgestaltung“ einen wirklichen Gedanken fassen wollte, mußte ins ZDF umschalten. Dort lief Der verdammte Krieg — Das Unternehmen Barbarossa. Reinhard Mohr

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen