: Die Letzten werden die Schnellsten sein
Die 31jährige Merlene Ottey aus Jamaika sprintete beim Olympischen Tag in Berlin als letzte aus dem Startblock und gewinnt die 200 Meter überlegen in neuer Jahresweltbestzeit ■ Aus Berlin Jürgen Schulz
Bis zum letzten Augenblick hatten sich die gestreßten Veranstalter des Olympischen Tags der Leichtathletik gefragt, ob sie das Spektakel im Berliner Jahn-Sportpark doch noch abblasen sollten. Erst im letzten Moment fand sich ein Sponsor, der seinen Teil zum 1,3-Millionen-Etat beitragen wollte. Im Nachhinein kann man getrost feststellen: Der Adrenalinstoß hat sich gelohnt.
Bereits im ersten Wettbewerb der Männer unterstrich Renaldo Nehemiah (USA) mit famosen 13,36 Sekunden seine Ausnahmestellung über 110 Meter Hürden. Leider mußte sein Landsmann Kenny Harrison beim Dreisprung in die entgegengesetzte Richtung laufen. Fast bei jedem Versuch kämpfte der US- Athlet gegen einen böigen Gegenwind, was seine Anlaufplanung völlig zunichte machte. Im vierten Durchgang sprang Harrison bei 0,5 Metern pro Sekunde Wind von vorne vorsichtshalber weit vor dem Balken ab und landete als Sieger bei respektablen 17,35 Metern.
Einziges Manko der Veranstaltung war, daß stets mehrere Wettbewerbe parallel und mitunter weitab vom Expertenauge abliefen. So konnte man von der Tribüne den Freudensprung des High-Jump-Kubaners Javier Sotomayor über 2,33 Meter nur erahnen, während die europäische Kugelstoßergilde (1. Platz: Werner Günthör aus der Schweiz mit 21,26 Metern) an der entgegengesetzten Stadionseite ihr 7,25 Kilo schweres Werkzeug ebenfalls im „closed shop“-Verfahren in die Grube wuchtete.
Naturgemäß richtete sich das Hauptaugenmerk auf die Laufdistanzen. Bei den Frauen setzte die Rostockerin Christine Wachtel (Siegerin über 800 Meter in 1:59,75 min) ein erstes Ausrufezeichen, bis schließlich Lillie Leaterwood (USA) im mit Spannung erwarteten 400-Meter-Duell gegen Anna Quirot (Kuba) sowie Europameisterin Grit Breuer (Neubrandenburg) in 50,26 Sekunden die Oberhand behielt. Bei den Männern legte der Kubaner Roberto Hernandes eine Stadionrunde als Schnellster in 44,85 Sekunden zurück. Über dieselbe Distanz, jedoch mit zehn hohen Hürden bestückt, setzte der US-Meister Danny Harrois in exakt 48,37 Sekunden hinweg. Die Tribüne trug Trauer, dachten doch viele im fachkundigen Publikum zurück an die Triumphzüge „unseres“ Harald Schmid aus Gelnhausen, der eigentlich immer schneller hürdete als Harris.
Der olympische Tag in Berlin mündete schon in den frühen Abend, da schaltete der Stadionsprecher das eigentliche Highlight an: 200 Meter der Frauen mit der karibischen Sprinterin Merlene Ottey und der weltbesten Weitspringerin auf Abwegen, Heike Drechsler aus Jena. Als ob sie den stets nach ihr gierenden Fotografen davoneilen wollte, bog die Jamaikanerin bereits weit in Führung liegend auf die Zielgerade ein. Mit unglaublich raumgreifenden Schritten lief sie nur noch gegen die elektronische Stoppuhr, die sie nach exakt 22,05 Sekunden einholte — neue Jahresweltbestzeit! Zweite wurde Marlene Maicel (USA/22,36) vor Heike Drechsler, die 22,60 Sekunden benötigte. Die Konkurrentinnen waren schon längst geduscht und in Zivil auf die Tribüne entschwunden, da mußte Frau Ottey auf der Tartanbahn noch immer ins Blitzgewitter der Presse lächeln. Den Vorsprung aus dem Rennen hatte sie längst eingebüßt...
Frauen: 800 m: 1. Christine Wachtel (Rostock) 1:59,75 Minuten, 2.000 m: 1. Ljubow Kremeljowa (UdSSR) 5:46,06 Minuten, 2. Yvonne Mai (Rostock) 5:46,47; 100 m Hürden: 1. Aliuska Lopez (Kuba) 13,00 Sekunden, 2. Odalvs Adams (Kuba) 13,05, 3. Kristin Patzwahl (Leipzig) 13,09 (DLV-Jahresbestzeit).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen