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Die Zeichen stehen auf Kampf

Thalbachs furiose Minna  ■ Von Doja Hacker

Das Schöne am Theater ist, daß man sich, bevor man drin war, mit völlig überflüssigen Fragen abquälen kann. Zum Beispiel der, wie Katharina Thalbach ausgerechnet an Lessing geraten ist und dann auch noch an ein Stück, dem man nach seiner Abhandlung im Deutschunterricht ein erleichtertes und ewiges „Lebewohl“ zugejauchzt hatte. Jene Minna von Barnhelm, die so gut wie nie die Gelegenheit erhält, ihren Ruf, die zweite von den zwei deutschen Komödien zu sein, auf der Bühne zu bestätigen, und das vermutlich deshalb, weil man überall lesen kann, daß Lessing auch als Lustspieldichter ein Erzieher geblieben sei, und nirgendwo, daß seine Komödie wirklich sehr komisch ist.

Katharina Thalbachs Inszenierung beweist mit ganzer Kraft, daß die Theaterwissenschaft auf dem Holzweg ist. Sie entdeckt, was bisher geflissentlich übersehen wurde: Dieses Lustspiel ist vor allem ein Spiel mit der und über die Lust, oder genauer, über die Strategien, ihre Erfüllung zu verhindern. Im Grunde stehen für den Major von Tellheim und Minna von Barnhelm die Erfüllungschancen nicht schlecht. Er liebt sie, und sie liebt ihn. Aber der Held im Ruhestand bindet geradezu verstockt Liebeslust an Reputation, und eben diese ist ihm durch einen Irrtum der Kriegsjustiz abgesprochen worden. Solang ich nicht mein Recht bekomm, will ich auch meine Minna nicht, sagt der Major mit Kohlhaas'schem Trotz, und vollzieht damit, was Preußen ihm angetan, noch einmal an sich selbst.

Seine Verlobte ärgert das. Sie hält es für angebracht, zwischen Ehrgefühl und Liebeslust zu unterscheiden. Die Liebe, findet die entschlossene Minna, hat auch ihre Rechte. Also stehen die Zeichen auf Kampf: Ehekampf, Geschlechterkampf, Konkurrenzkampf und Kampf ums Geld, der Ehre wegen. Die Kämpfenden besitzen beide sehr gute Charaktere und eine Unmenge an Trotz. Letzteres steigert zwar ihre Lust noch erheblich, ist aber auch der Grund dafür, daß sie bis ganz zuletzt nicht erfüllt wird.

Auf der gewaltigen Bettstatt, die Igael Tumarkin in der Bühnenmitte errichtet hat, wird deshalb alles mögliche getrieben, nur das nicht, was die Verlobten so gern täten. Und daß sie es wirklich gern täten, glaubt man ihnen beim ersten Anblick. Sabine Orléon und Oliver Stern sind nämlich beide nicht nur wunderbare Komiker, sondern auch überhaupt nicht schlank. Sie sehen so aus, als verstünden sie was von leiblichen Genüssen. Des Majors hüpfender Kugelbauch widerspricht lebhaft dem Kodex der Enthaltsamkeit, und wenn Minna zum ersten Mal aus ihren Daunen auftaucht, dann dürfte mindestens ein Drittel der Zuschauer sich gefragt haben, seit wann Hella von Sinnen zum Ensemble des Schillertheaters gehört. Zum Glück hat Sabine Orléons abgesehen von der Statur mit der von Sinnen nichts gemein, andernfalls hätten ihre Bühnenkollegen keine Chance mitzuspielen.

Das Hinreißende an Thalbachs Inszenierung ist aber gerade, daß ihre Komik nicht auf die Hauptfiguren beschränkt bleibt, sondern die kleinen Gesten der bekanntlich schon von Lessing als Comedia dell'Arte angelegten Nebenfiguren einschließt. Allein das Ballett der Kriegsinvaliden ist eine Zirkusnummer, obwohl oder gerade weil die Schauspieler sich endlos wiederholen. Der Krieg hat bei diesen Soldaten seltsame Spuren hinterlassen. Manche scheinen in Zombies verwandelt, einer sieht aus wie ein Tiefseetaucher, und alle sprechen die gleiche Sprache, die sich wie die Schwitters'sche Ursonate anhört und aus der hin und wieder das Wort „Schützengraben“ als Trauma herausragt. Diese Soldaten sind furchtbar deformiert, aber auch sehr komisch, und sie verhalten sich so, daß dem Publikum das Lachen nicht im Halse stecken bleiben kann.

Auch auf der Bühne wird enorm gelacht. Für Guntbert Warns ist die herzliche Treue, mit der er seinem Herrn Tellheim anhängt, selbst zum Witz geworden, über den er sich bei jedem Liebesbeweis von Neuem ausschütten könnte. Sogar der Wirt muß ein bißchen darüber lachen, daß es ihm so gründlich mißlingt, vom Unglück der anderen zu profitieren.

Tellheims Lachen klingt immer falsch und das spürt die souveräne Minna genau. Daß sie selbst die Angewohnheit hat, über die Sturheit des geliebten Mannes in ein grobes Gelächter auszubrechen, hindert sie deshalb auch nicht, dem Mann, wenn er das gleiche versucht, eine Handvoll Sauerkraut und ein paar Semmelknödel ins Gesicht zu schmeißen.

Sicher könnte man Thalbach vorhalten, daß ihr Comic-Theater über Lessings hintergründige Sprachspiele schonungslos hinwegrollt, aber dieser Einwand wäre nur dann einer, wenn man das Gefühl hätte, die Schauspieler würden gern anders als sie dürfen. Und dieses Gefühl hat man hier nicht einen Moment lang.

Der Wahnsinn ist von größter Selbstverständlichkeit, und die Gelassenheit der Schauspieler hat mit dem Bewußtsein zu tun, daß wirkliche Komik nur dort entsteht, wo die Lebenslage für die Menschen insgesamt noch zu verbessern wäre.

Goethe soll über Lessing gesagt haben, daß dieser sich eben deshalb in einem „zerstreuten Wirtshaus- und Weltleben gefallen“ habe, weil sein „mächtig arbeitendes Inneres stets ein gewaltiges Gegengewicht brauchte“. Genau in diesem Sinne haben Thalbach und ihre Schauspieler Lessing verstanden.

Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm . Regie: Katharina Thalbach. Bühne: Igael Tumarkin. Mit Sabine Orléans, Oliver Stern, Guntbert Warns, Peter Lohmeyer, Markus Völlenklee. Schiller Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 26., 29., 30. Juni.

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