: Boat people: Endstation Hongkong
London und Hanoi verhandeln über zwangsweise Rücksiedlung vietnamesischer Flüchtlinge ■ Aus Hongkong Steven Vines
Wenn die kommunistischen Parteiführer in diesen Tagen auf ihrem Parteitag über die Zukunft debattieren, könnte möglicherweise auch die Frage auftauchen, warum so viele Bürger das Land so schnell wie möglich verlassen wollen. Die Zahl der Flüchtlinge, vor allem der „Boat people“, steigt. Die meisten Asylsuchenden versuchen, sich zur britischen Kronkolonie Hongkong durchzuschlagen. Dort leben bereits 61.000 vietnamesische Boat people, über 12.000 sind bereits in diesem Jahr eingetroffen. Die Flüchtlingsquote ist damit viermal so hoch wie im letzten Jahr. Die Gründe sind vielfältig: Im Norden herrscht drastische Nahrungsmittelknappheit. Flüchtlinge, die es geschafft haben, berichten zudem, daß Fluchtboote billiger als früher zu haben sind. Viele dürften sich auch aufgrund eines makaber anmutenden Gerüchts endgültig zur Flucht entschlossen haben: Vietnamesen, so die Mundpropaganda zu Hause, könnten beim Wiederaufbau von Kuwait reichlich Geld verdienen.
Die Realität allerdings sieht anders aus: Die internationale Gemeinschaft will mit den Boat people nichts mehr zu tun haben — geschweige denn Pläne für deren umstandslose Ansiedlung entwerfen. Auch in Hongkong werden zunehmend schärfere Töne angeschlagen. Wiederholt wird verlangt, den Vietnamesen die Aufnahme zu verweigern. Abgeordnete drohen, Gelder für die Unterbringung von Flüchtlingen zu stornieren. Die Forderung nach zwangsweiser Rücksiedlung wird immer lauter vorgetragen.
Was die Gemüter in der Kronkolonie besonders empört, ist der Umstand, daß andere Länder kaum noch Boat people aufnehmen. Man argwöhnt, die Vietnamesen würden nur noch die Kronkolonie aufgrund deren „nachsichtiger“ Haltung gegenüber den Flüchtlingen ansteuern.
Nächsten Monat haben Vertreter der britischen und der vietnamesischen Regierung Gespräche über ein international verwaltetes Aufnahmelager in Vietnam für abgeschobene Boat people angesetzt. Dieser Plan gilt als Kompromiß, war doch ursprünglich vorgesehen, sämtliche Flüchtlinge zwangsweise wieder in die Heimat zu verfrachten. Die moderatere Version wurde zwischen London und Washington ausgearbeitet. Die USA haben sich mehrfach gegen die zwangsweise Rücksiedlung ausgesprochen — Einwände, die Hanoi bewogen, mit dem ursprünglichen Programm nicht fortzufahren. Schließlich befindet man sich in schwierigen Verhandlungen um eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA, die die vietnamesische Regierung nicht gefährden will. Nun, da die USA grünes Licht für Verhandlungen um eine Aufnahmelager gegeben haben, kann Hanoi aufatmen.
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