: Cheney: Nato nicht beschädigen!
Differenzen über die Funktion des Bündnisses, sein Verhältnis zu anderern Institutionen und den Einfluß der USA sind keineswegs beigelegt/ USA realisieren wachsendes Gewicht der KSZE ■ Von Andreas Zumach
„Das Streben der Europäer nach einer eigenen verteidigungspolitischen Identität darf nicht zu einer Beschädigung des Nato-Rahmens und zu einer Verschleppung der Bündnisreformen führen.“ Diese „Ermahnung“ richtete US-Verteidigungsminister Cheney am Montag in Washington an einige seiner westeuropäischen Amtskollegen auf der gemeinsamen Tagung der Nato-„Eurogruppe“ und des „Atlantischen Rates“ der USA. Die Äußerung Cheneys macht deutlich, daß die tiefen bündnisinternen Differenzen der letzten Monate über die künftige Funktion der Nato, ihr Verhältnis zu anderen (west-)europäischen Institutionen sowie über Rolle und Einfluß der USA keineswegs beigelegt sind. Jüngste Erklärungen und Beschlüsse, die diesen Eindruck erweckten, haben diese Differenzen nur verdeckt. Sie sind vor allem Ergebnis von Absprachen zwischen Bonn und Washington und bestätigen auf gewisse Weise die Formel von den „Partnern in der Führung“, mit der Bush vor Beginn der Golfkrise das Verhältnis zur Regierung Kohl/ Genscher beschrieben hatte.
Wer soll die „schnelle Eingreiftruppe“ bilden?
Auf der Brüsseler Tagung der Nato- Verteidigungsminister Ende Mai hatte Minister Stoltenberg zum Ärger der Franzosen wie Teilen der Bundeswehrführung und der CDU den Beschluß zur Aufstellung einer „schnellen Eingreiftruppe“ im Nato- Rahmen unterstützt — unter wesentlicher Beteiligung und de- facto- Kontrolle der USA. Paris, das den Einfluß Washingtons in Europa zurückdrängen will, hatte für die Bildung derartiger militärischer Instrumente ausschliesslich im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) plädiert. Einige südeuropäische Nato-Mitglieder tendieren in dieselbe Richtung. Eindeutige Unterstützung erfuhr der amerikanische Vorschlag zu Beginn der Diskussion nur von den „Atlantikern“ in London und Den Haag. Hätte die Bundesrepublik mit ihrem großen politischen Gewicht sich in dieser Frage nicht auf die Seite der USA geschlagen und außerdem noch die „Kröte“ geschluckt, daß Großbritannien formal das Oberkommando über die neuzubildenden multinationalen Verbände erhält, wäre die Entscheidung in Brüssel anders ausgegangen. Washington ließ im Gegenzug beim Nato-Außenministertreffen Anfang Juni in Kopenhagen eine Abschlußerklärung zu, in der den Westeuropäern eine größere sicherheitspolitische „Identität“ und auch der KSZE eine wichtigere Rolle zugestanden werden.
Konzessionen an die Westeuropäer
USA-Außenminister Baker ging bei seiner Berliner Rede anläßlich der KSZE-Außenministerkonferenz zumindest rhetorisch noch darüber hinaus, ohne allerdings konkrete Zusagen zu machen. Die Bush-Administration hat durch die Brüsseler Kontroversen der letzten Monate realisiert, daß die Dominanz der USA in der Nato tendenziell abnimmt und sie eines nicht mehr fernen Tages bei wichtigen bündnisinternen Entscheidungen auch unterliegen könnte. Gleichlaufend mit diesem Prozeß steigt die Bedeutung der KSZE als Instrument der Einflußnahme in Europa. Einfluß nehmen kann aber nur, wer sich an der KSZE beteiligt. Noch richten sich Cheneys Worte vor allem an Mitterrand, der den Brüsseler Beschluß der Verteidigungsminister ablehnt und weiterhin die WEU zu einer „eigenständigen europäischen Verteidigungsunion“ ausbauen will.
Wie lange hält die Treue Bonns?
Doch Washington weiß, daß es nicht ewig mit der Bonner Treue rechnen kann. Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen sind die Deutschen 1994 völlig souverän. Das Gefühl Bonner Politikler, bei der Bush-Administration in der Dankschuld zu stehen für die Unterstützung der deutschen Vereinigung wird mit wachsendem zeitlichem Abstand immer geringer werden. Statt dessen stehen Kontroversen ins Haus über neue Atomwaffen für Westeuropa, über deren von Washington und London nach wie vor beharrlich verfolgte Beschaffung und Stationierung in den nächsten drei Jahren Nato-intern entschieden werden soll. Und auch die wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und Westeuropa werden sich in den kommenden Jahren bei den Gatt-Verhandlungen und anderer Stelle erheblich verschärfen.
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