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Irreale Senatskarten und die Realität der Cyberwelten

■ Die ersten Tage der Sommerakademie Film und Medien in der Akademie der Künste

Die zweite Europäische Sommerakademie hat ihre Pforten geöffnet, und die Diskussionsbeiträge schon der ersten öffentlichen Veranstaltung zielten tief hinein in ein Territorium, das von den Organisatoren so umzeichnet wird: Sie wollten »die Pläne der Orte aufschlagen, die von Alpträumen und Verwünschungen bedroht sind, Brave New World, Babylon-Berlin« und gleichzeitig die Karten suchen der verheißenen, unbekannten Gebiete wie Utopia oder die Civitas Solis.

Konkret sind »Gebaute Illusionen — Filmphantasien zwischen Mythos und Mathematik« das Thema der diesjährigen Sommerakademie. Eine Vielzahl von internationalen Gästen wurde eingeladen, diesem Sujet öffentlich und in zugangsbeschränkten Workshops und Seminaren nachzuspüren.

Im Rahmen des Seminars Filmszenografie beispielsweise macht eine Reihe illustrer Namen aus dem Bereich des Production Designs mit unterschiedlichsten Facetten (vom Kostümentwurf bis zur Sprache und Bedeutung eines Szenenbildes) des Berufstands vertraut. Verschiedene Projektgruppen widmen sich dem Versuch, das »Unbekannte zu beschreiben«, verfolgen dabei den theoretischen Ansatz, »sich auf die poetische und wissenschaftliche Entdeckung einer hypothetischen Zukunft, so wie sie im SF-Film beschrieben wird, und auf das Mythisieren der Wirklichkeit im Phantastischen Film« zu konzentrieren. So befaßt sich eine Gruppe unter der Leitung von Regisseur Peter Lilienthal, Schriftsteller Rudolf Fries, und Production-Designer Toni Lüdi mit »Erforschern unbekannter Welten im Film«. Einen Schwerpunkt bildet dabei das phantastische Element in der Literatur: magischer Realismus, das Reich des Deliriums, Wunder und Magie.

William Gibson, Kultautor des Cyberpunk, steht einer weiteren Projektgruppe, »Filmgestaltung und Virtuelle Realität«, vor — zumindest virtuell: Am Montag brach es über die Lippen der Veranstalter, daß Gibson zwar in der Stadt sei, niemand aber wisse wo. Zumindest nicht in der Akademie der Künste. Ein Verweis auf die Schwerpunkte der Gibsonschen Arbeitsgruppe — »Kybernetik, Biotechnologie, Nachrichtentechnik. Gangster, Abtrünnige und Ausgestoßene. Lowlife und HighTech — Beschwörung einer glaubhaften Zukunft und Varianten von Untergangsvisionen« — könnte Aufschluß über den Verbleib des Dozenten geben.

Untergangsvisionen hatte es im Frühjahr dieses Jahres einige auf dem TV-Bildschirm, da gab's ein Kriegsspektakel. Schon deshalb werden im Rahmen der Reihe Mediengespräche unter dem Titel Medien — Alltag — Krieg einmal mehr die Mythologeme einer sich ständig selbst und neu schreibenden »Informationsgesellschaft« analysiert. Die da bekanntlich lauten: Nachrichtenmedien würden lebensnotwendige Informationen vermitteln, sie seien das »zentrale Nervensystem unserer Industriegesellschaft«. Und schließlich doch noch die Erkenntnis, daß Nachrichtentechniken für kriegerische Zwecke entworfen werden. Dem forschen nach: die Medientheoretiker Norbert Bolz und Friedich Kittler, der Journalist Gerd Meißner aber auch Steffen Wernery vom »ChaosComputerClub« sowie gleich drei MitarbeiterInnen des »Instituts für Informations- und Kommunikationsökologie« und schleißlich Hubert Biskup vom »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« — was sich immerhin gut macht.

Die »Mediengespräche« scheinen ohnehin der Ort zu sein, an den sich die letzten Metaphysiker geflüchtet haben — ganz wie zu Beginn des Jahrhunderts der Sinn in medial besetzten Round-table-Kreisen ausfällte. So macht sich eine weitere hochkarätig besetzte Diskussionsrunde unter der Leitung von Dietmar Kamper zum wiederholten Mal daran, die »Orte des Imaginären zu lokalisieren«. Düsteres suggeriert der Untertitel: Von der Höhle bis zum Sarg. Florian Rötzer, Peter Sloterdijk, Gerburg Treusch-Dieter u.a. wollen versuchen, »hinter den Rücken der körperlichen und maschinellen Rrojektionsapparate« zu gelangen, um dort der Frage nachzugehen, »wo und wann das Imaginäre entsteht, sich ausbreitet, wichtig wird.« Glück auf.

Zur Eröffnung: diskutierende Herren

Die Eröffnungsveranstaltung am Sonntag abend wartete mit internationaler, kaukasisch-maskuliner Multikultur auf: die beiden Science-fiction-Autoren Samuel Delaney (USA) und William Gibson (Kanada) — zu diesem Zeitpunkt noch leibhaftig da —, Wolfgang Jeschke (FRG), verdienstvoller Herausgeber der SF- Reihe im Heyne-Verlag und ebenfalls literarisch tätig, der Exilrusse Boris Chasanow, Schriftsteller und Regisseur, David Grossman, Schriftsteller aus Israel, und der Regisseur Peter Lilienthal, wie Siegfried Zielinski einer der Veranstalter der Sommerakademie, FRG — schließlich der Architekt Daniel Libeskind, offensichtlich Kosmopolit, ohne den die Diskussion keiner weiteren Zeile würdig gewesen wäre.

So war es Libeskind, der nach anfänglichem Geplänkel über das literarische Für und Wider von Science- fiction die erste Schleife in die Diskussion einführte, in dem er nach dem »gesellschaftlichen Verlangen nach Science-fiction« fragte. »Bis zu welchem Grad ist das Environment, in dem wir leben, von einer SF-Ideologie geprägt — einer Ideologie, die vorgibt, unseren Wünschen gerecht zu werden?« Um seinen Punkt zu verdeutlichen: Als Architekt an den Wettbewerben um Potsdamer/Leipziger Platz beteiligt, arbeitet Libeskind mit einer 1989 vom Bausenator herausgegebenen Karte. »Sie werden es nicht glauben! Diese Karte zeigt Straßen, Gebäude, Grundstückslinien, Adressen — doch wenn Sie dahin gehen: Da ist absolut nichts! Also diese Karte ist eine absolute Irrealität, die nun plötzlich zur Basis für das Denken über die moderne, zukünftige Stadt geworden ist.« Gibson: I love that.

Immer noch mit Blick auf die faktisch fiktive Senatskarte wurde Libeskind noch einmal deutlich: Bei literarischer und architektonischer Arbeit gebe es einen Widerstand gegen die Gegenwart, man engagiere sich immer in fiktiver Zeit, orientiere sich an einer Zeit der Fiktion. Und schließlich stellte der Architekt die Frage, »in welchem Maße Sprache, Literatur und Architektur als solche fähig ist/ sind, Realität zu verkörpern. In welchem Maße Sprache überhaupt fähig ist, rauszukommen.« Wir etablierten durch Propaganda, Ideologie, Gehirnwäsche eine Glaubwürdigkeit im Irrealen. Das halte die Menschen von einem Handeln nach eigenen Bedürfnissen ab.

Virtuelle Realitäten und der Ort des Cyberspace

Auch Gibson entwarf eine Karte, den Cyberspace, die »Virtual Reality«. Dabei ist wesentlich, daß »VR« ein Zeichensystem, eine Repräsentationsform ist. Was Libeskind für Literatur und Architektur problematisierte, gilt entsprechend für VR — nur: Diese Karte kann nicht zerrissen werden. Hier hilft nur, den Netzstecker des Computers zu ziehen: Während des »ARTundCOM«-Vortrags »Erfahrungen aus der Arbeit mit Virtual Reality« am Montag blieb der Videobildschirm zunächst dunkel.

»Welchen Ort hat der kybernetische Raum, der Cyberspace? Ist er noch diesseitig oder ist er schon jenseitig; welche Art von Grenzerfahrungen bietet er an?« fragt — falsch — Siegfried Zielinski im Programmheft der Sommerakademie. Die Berliner ARTundCOM, ein »unabhängiges nichtkommerzielles Forschungs- und Entwicklungszentrum für rechnergestütztes Gestalten und Darstellen«, arbeitet als einzige deutsche Organisation mit der VR-Technologie von VPL. Diese Technologie ist extrem teuer, leider kam es niemandem aus dem Publikum in den Sinn danach zu fragen. So blieb es einer »ARTundCOM«-Mitarbeiterin überlassen, im Nebensatz auf die Beteiligung von Daimler Benz zu verweisen. Zumindest in Deutschland also steht die VR- Geschichte unter einem guten Stern.

Was für einen Ort also hat Cyberspace? Es handelt sich um computergenerierte Welten, die im Datensatz dreidimensional sind. Mittels »Eyephone«, »Dataglove« und »Datasuit« kann der User in diese Welten eingespeist werden; d.h., der Rechner positioniert ihn/sie in Relation zu dem umgebenden Datensatz, der sich je nach ARTundCOM-Programm als U-Bahnhof Potsdamer Platz, Nationalgalerie oder Ausstellungsraum in der Akademie der Künste re-präsentiert. VR ist ortlos, utopisch — eben virtuell.

Da geht auch bei Ulrich Weinberg, Pate von ARTundCOM einiges durcheinander, wenn er behauptet, mit VR sei es möglich, ferne Welten (oder via Glasfaserkabel »ferne« VRs) zu bereisen, »wie das Auto« würde »VR die Distanz«, den Raum tilgen. Das aber ist schlicht Nonsens: niemand käme auf die Idee, er/sie wäre als Laserbombe auf irakische Bunker gestürzt, nur weil mensch im TV die Bilder vor Augen hatte. O-o- oder?

Ist VR nun diesseitig oder schon jenseitig? Die Fragestellung verwischt, daß Cyberspace ein Zeichensystem ist. Sind dann die von Mathematik, Sprache, Geometrie beschriebenen Welten diesseitig oder jenseitig? Nun wird von ARTundCOM der Hoffnung Ausdruck verliehen, es sei möglich, mittels VR die repräsentative Ebene zu verlassen, zu überschreiten. Gleich Springteufelchen in der Box sollen in das Programm eingebaute Logarithmen dem User überraschende — interaktive — Erfahrungen ermöglichen, es wird vom Abtauchen in der Mandelbrot-Menge visioniert, vom Wandern in der Unendlichkeit der Fraktale. Das klingt gut. Und wenn in Zukunft nicht nur das Sehen mittels Simulationen stimuliert werden kann, sondern auch die anderen Sinne, dann wird das restlos entfremdete »Neue Fleisch« wohl in der Tat von »Erfahrungen« sprechen. Und mögliche Interessenkonflikte zwischen Kunst und Kapital werden einer Vergangenheit angehören, die es nie gegeben hat. R. Stoert

Die Sommerakademie in der Akademie der Künste am Hanseatenweg läuft noch bis 19. Juli. Zu einzelnen Veranstaltungen siehe Tagesprogramm.

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