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Körper gegen Valuta

Der sowjetische Erfolgsfilm „Intergirl“  ■ Von Michaela Lechner

Die 'Prawda‘ tobte zwar, dennoch war Pjotr Todorowskijs SpielfilmIntergirl (1989) in den sowjetischen Kinos unglaublich erfolgreich. Vielleicht weil oberflächlich betrachtet ein Tabuthema enttabuisiert wird, und es scheint, als handele der Film von etwas, was es im Sozialismus offiziell nicht gab: Prostitution.

Im Zentrum des Films stehen die patente Tanja (Jelena Jakowlewa) und ihr Doppelleben: Tagsüber arbeitet sie als Krankenschwester (Engel in Weiß) und nachts als Prostituierte (westlich aufgepeppt wie Lady Di). Tanja ist, laut Volksmund, ein Intergirl. Sie geht auf den Nobelstrich, in die für Ausländer reservierten Intourist-Hotels.

In bleichen, grau-braunen Bildern streift der Film krude realistisch das Milieu. Nur einmal, als Tanjas Gesicht bei der Kundenbetreuung in Großaufnahme auf- und abruckelt, läßt sich erahnen, daß es Körper sind, die gegen Valuta eingetauscht werden. Ansonsten beschränkt sich Tanjas Prostituiertendasein auf abendliches Zurechtmachen und diverse Checkereien: Wie lassen sich die Devisen umrubeln? Wo bekommt man westliche Luxusgüter?

Aber Intergirl ist nur oberflächlich betrachtet ein Spielfilm über Prostituierte. Schnell entlarven sich Tanja und ihre aufmüpfigen Kolleginnen als filmische Stellvertreterinnen all derjenigen, die sich in den Randzonen der sowjetischen Gesellschaft tummeln. Geschäftstüchtig nutzten sie die offizielle Leerstelle Prostitution, um sich ihre individuelle Nische zu schaffen. Selbstbewußt führen sie qua materieller Errungenschaften ihren doppelmoralischen Mitbürgern den kleinen gesellschaftlichen Ausbruch und Aufstieg vor Augen.

Und doch zeigt der Film Tanja und ihre Kolleginnen als Opfer der als rigide, korrupt und heuchlerisch dargestellten sowjetischen Gesellschaft. Die Botschaft ist eindeutig: Das System hat sie zu dem gemacht, was sie sind. Denn eigentlich ist Tanja gut, denkt immer an ihre einsame Mutter und sorgt sich um ihre Freundinnen.

Als Ausweg bleibt der tragischen Heldin nur die Ausreise. Glücklicherweise trifft sie den schwedischen Geschäftsmann Edward (Thomas Laustiola), der sie nach bürokratischem Hin und Her heiratet. Wenn Tanja im Flugzeug über Leningrad aufsteigt (untermalt von choralem Volksgesang), könnte der Film eigentlich zu Ende sein. Aber auch in Schweden muß noch gezeigt werden, was wir schon wissen. Der Preis für die Freiheit ist hoch, Supermarktfahrten und gehobene Ikea-Kultur machen nicht glücklicher. So folgt Tanja am Ende ihrem Herzen und dem telegrafischen Ruf ihrer Mutter und fährt zurück in die Heimat — obwohl dort aufgrund falscher Beschuldigungen das Gefängnis auf sie wartet. Oder wieder der Strich.

Was als durchaus realistische Schilderung gesellschaftlicher Mißstände begann, endet, wie so oft in sowjetischen Spielfilmen, mit einer besinnlichen Rückwendung auf düster-pathetische Urwerte. Wenn „Mütterchen Rußland ruft“, gibt es anscheinend kein Entkommen. Ein westliches Publikum mag darauf noch immer mit Befremden reagieren. Vielleicht war Intergirl gerade deshalb in der Sowjetunion so erfolgreich.

Pjotr Todorowskij: Intergirl , mit Jelena Jakowlewa, Anastassija Nemoljajewa, Thomas Laustiola, UdSSR/Schweden 1989

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