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Schwammbergers schwache Erinnerung

■ Prozeß gegen den wegen Mordes und Beihilfe zum Mord an jüdischen Häftlingen angeklagten 79jährigen früheren SS-Oberscharführer begann/ Rechtsradikale Sympathiekundgebungen im Gerichtssaal

Stuttgart (dpa) — Schleppenden Schrittes geht der vom Alter gebeugte Angeklagte zum Zeugenstand und nimmt vor seinen Richtern Platz. Auf die Frage des Vorsitzenden Herbert Luippold nennt er seinen Namen: „Josef Franz Leo Schwammberger.“ Daß hier vor dem Stuttgarter Landgericht einem mutmaßlichen NS-Massenmörder der Prozeß gemacht wird, empfinden viele Zuschauer angesichts der Gebrechlichkeit des 79jährigen als nahezu unwirklich.

Als Luippold dem ehemaligen SS- Oberscharführer versichert, die Strafkammer sei „bestrebt, dem Angeklagten einen absolut fairen Prozeß zu machen“, kommt Gelächter im Zuschauerraum auf. Eine Gruppe junger Rechtsradikaler macht so deutlich, daß ihre Sympathie nicht dem Richter, sondern dem Greis auf der Anklagebank gehört. Die Gruppe beschimpft später auch den anwesenden Simon Wiesenthal, Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, der maßgeblich zum Aufspüren Schwammbergers in Argentinien beigetragen hatte. Vor dem Gerichtsgebäude fordert eine Gruppe „Nationale Offensive“ auf Transparenten „Freiheit für Schwammberger“ und „Tod den Gesinnungsrichtern“.

In 52 Fällen listen die Anklagevertreter die Greueltaten auf, die Schwammberger als Kommandant der Arbeitslager Rozwadow und Przemysl begangen haben soll. Darunter sind Fälle besonderer Grausamkeit. Mehrmals habe Schwammberger seinen Schäferhund auf jüdische Häftlinge gehetzt und diese von dem Tier zu Tode beißen lassen. Im Oktober 1943 soll der gebürtige Südtiroler gemeinsam mit Gestapo-Leuten fünfzehn Männer und Frauen in eine angezündete Scheune getrieben und die brennenden Opfer dann erschossen haben. Und immer wieder wird der Vorwurf erhoben, Schwammberger habe Menschen aus Mordlust oder Ärger mit Genickschüssen getötet. Er selbst hat bisher nur die Erschießung eines Menschen zugegeben.

Als der Richter den Angeklagten zu seinem Lebenslauf vernimmt, macht er wiederholt große Pausen, hat offensichtlich Probleme mit dem Gehör und seiner Konzentration. Immer wieder nimmt Schwammberger seine Unterlagen zur Hand, um sich Einzelheiten aus der Vergangenheit ins Gedächtnis zu holen und in abgehackten, fahrigen Sätzen zu berichten. Nebensächliche Details gibt er mit Akribie wieder, während er an große Zeitabschnitte und einschneidende Erlebnisse nach eigenen Angaben keine Erinnerung mehr hat. So legt er Wert darauf, in Argentinien bis zu seiner Festnahme unter eigenem Namen gelebt zu haben: „Alles korrekt.“ An die SS erinnert er sich als eine „disziplinierte und qualifizierte“ Truppe, in der er es lediglich zum Scharführer gebracht habe.

Schwammbergers Verteidiger Dieter König will in einem neuen Gutachten die Verhandlungsfähigkeit seines Mandanten klären lassen. Edgar Neumann

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