Ein ewiges Exil der Träume

■ Jewgeni und Michail Posin in der Galerie Frankenstein

Jewgeni und Michail Posin sind Sibirier. Sie stammen aus dem östlichsten Zipfel des riesigen Sibiriens, einem Land, wo es blaue Himmel gibt, scheeweise Gänse und eine immergrüne Taiga. Im Winter klirrende Kälte, und rotgefrorene Nasen tropfen; in der Hütte dampft Kascha, Tee aus dem Samowar, Pelmeni mit Sauerrahm und ein groooßes Glas Wodka gibt's: Na sdrowje Doch nichts von dem ist in den Bildern der beiden 1948 in Süd-Sachalinsk geborenen Brüder zu erkennen. Wie ein großer Staubwedel ist die moderne Avantgarde über den traditionellen Repinismus, den sie am Leningrader Repin-Institut für Malerei kennenlernen durften, hinweggegegangen.

Weggewedelt hat der Wedel zwar die Farben der russischen Landschaft, jedoch nicht deren Symbole. Ganz und gar nicht die der politischen Landschaft. In Konsequenz dieses Standpunktes wurde darum am 18. September 1987 durch ein Leningrader Gericht beschlossen, daß »die Bilder von Jewgeni Posin zur Vernichtung zu bestimmen sind«. Ein größeres — wenn auch schmerzliches Lob — ihrer avantgardistischen Tätigkeit in Leningrader Kellerateliers konnte den Künstlern sicherlich nicht erteilt werden. Vergessen werden sollte allerdings nicht, daß dieser Ukas zu Zeiten von Perestroika erlassen wurde. 1986 wurden die Brüder ausgewiesen. Sie leben nun in Berlin und stellen derzeit in der Galerie Frankenstein aus.

Doch allseits doktrinierter Realismus in der sowjetischen Kunst läßt sich nicht so einfach abschütteln. Und erst recht nicht, wenn man älter ist als vierzig. So entdeckt man unter der dünnen Patina expressiver Symbole und im Stil der Naiven gehaltenen Ausbrüche die viel kompaktere Ablagerung bildlicher Tradition. Zu dieser Tradition — wenn auch auf dem anderen Ende des Spektrums — gehört die klassische russische Ikone. Posin(s) übernehmen teilweise den tradierten Kanon (wie bei »Kreuzigung Christi«) fast unverändert und formulieren alleine durch diese ungeschminkt christliche Thematik einen Affront gegenüber der kommunistischen Religionsfeindlichkeit.

In den meisten Tuschzeichnungen, deren Stil an die Holzschnittkunst der Jahrhundertwende erinnert, wird die christliche Symbolik einem modernen Thema untergeordnet. Dies geschieht unter Verwendung einer Vielzahl typisch russischer Anspielungen, die für einen Außenstehenden schwer zu entschlüsseln sind. Zu eben jener chiffrierten Information gehören die Inhalte der Feder-Zeichnungen von Köpfen und Assemblagen, in denen Portraits zeitgenössischer Russen vermutet werden können. Zumindest in einem schien Gorbatschow erkennbar zu sein. Gerade zimperlich sind Posins in ihrer Symbolik nicht. Fast dantesk die wüste Vermengung von Mythos und Zeitgeschichte, das Bramabassieren mit Topoi aus Inferno und Untergang, fast denunzierend im Sinne Grosz die Vermischung von menschlichem Äußeren und tierischer Eigenschaft, und dabei die Betonung des sozialen Standes. In jedem Falle ist den Bildern ein zorniger aufklärerischer Herzschlag anzumerken.

Von der Dominanz eines theistischen oder atheistischen Themas läßt sich dennoch nicht sprechen. Ebensowenig wie die Moderne mit all ihrer Radikalität der russischen Maltradition letztendlich die Wurzel nehmen konnte, läßt sich die typisch russische Malerei ohne christliche Thematik (und sei es nur in Abwehr) und ohne proletarischen Gestus nur schwer denken. Selbst die in ihrer Radikalität gefangenen Künstler der NÖP (Neue Ökonomische Politik) um 1920 und des Suprematismus lassen in ihrer dogmatischen Theatralik noch etwas von ihrer Schwerblütigkeit ahnen, die sich in jener Thematik wiederfindet. Nur selten einmal, gleich einer Protuberanz, schießt ein Künstler — der ausnahmslos im Ausland lebt — über die Rhethorik der Bilder und Symbole hinaus. Die Brüder Posin gehören ganz sicher nicht dazu. Volker Handloik

bis 14. Juli in der Friesenstraße 21, 1-61, Di-So 16-19.30