Als die Homos kämpfen lernten...

■ Plädoyer für das Unpolitische — zum Christopher Street Day '91 in Berlin

Zum CSD '91 ist es wieder soweit: Die Schwulen und Lesben dieser Stadt feiern sich selbst. Vor 22 Jahren wehrten sich zum ersten Mal Homos gegen die Übergriffe der Polizei. Damals, in der Bar Stonewall in der Christopher Street/NYC, wurde ein Zeichen gesetzt, dem eine Welle der Emanzipation durch die lesbische und schwule Welt folgte.

Heute stehen die Zeichen anders. Der wütenden, kämpferischen Manifestation lesbischen und schwulen Stolzes steht nun ein Festzug gegenüber, der der ursprünglichen Definition des Wortes gay anscheinend zur Ehre gereichen will: fröhlich, lustig, unbeschwert.

Einige tun sich mit dieser neuen Doktrin der eisernen Fröhlichkeit jedoch schwer: Entpolitisiert und zum Homokarneval verkommen sei der CSD, lautet der Vorwurf der PolitaktivistInnen.

Freilich, unrecht haben die Kritiker nicht. Aber ganz so schlicht ist es dann doch nicht, zumindest nicht für die Claqueure der Szene: Eifrig wird von den freudigen Verfechtern das »immanent Politische« des CSD bemüht. Das Kernstück — die Demo — sei schon in seiner bloßen Existenz und Sichtbarmachung des gewöhnlichen Homosexuellen hoch politisch. Und wem das noch nicht genüge, der möge sich doch bitte die Abschlußkundgebung zu Gemüte führen.

Selbstsicher kann man diese Hinwendung zur Unterhaltung nicht nennen. Denn ungleich anderer Städte, welche die Demo nicht Demo, sondern Parade nennen, und denen Kontaktschwierigkeiten mit dem Lust- & Launeelement fremd sind, versucht man sich in Berlin an einer Gratwanderung, die zur faktischen Halbherzigkeit verkommt. Eigentlich wäre doch nichts dabei — ein selbstbewußter Freudentaumel, bunter Trubel und um keine Rechtfertigung bemühtes Treiben kann allemal erheiternd sein. Stattdessen wird händeringend um Inhalte gehadert, und verbissen-deutsche Ernsthaftigkeit und unerquickliche Vorhaltungen legen ihren verordneten Trauerflor über die Schar real existierender Homosexueller.

Und genau diese haben mit den aufgesetzten Inhalten ziemlich wenig am Hut. Das gemeine Volk des CSD besteht nämlich nicht mehr aus studentischen Politschwestern und kämpferischer Tuntenfraktion, sondern aus wohlsituierten Herr- und Frauschaften aus ebensolchen Elternhäusern, die aus purer Vergnügungssucht durch die Straßen zu flanieren gedenken. Einmal im Jahr erwacht die Nation der Homosexuellen, und setzt sich gen Hauptstadt in Bewegung, um dem heimatlichen Mief in die vermeintliche Urbanität zu entkommen. Der CSD ist Anlaß und bietet nichts mehr oder weniger als die Gewißheit, zu diesem Zeitpunkt auch andere Gleichgesinnte anzutreffen. Und zwar in einer derart berauschenden Zahl, daß die anonyme Urbanität durch ein klebriges Wir-Unter-Uns-Gefühl ad absurdum geführt wird: „Guck' mal: Dirty Doris aus Detmold ist auch da!“

Aber das Volk, das man rief, wird man nicht mehr los. Die eingeschworene und selbsternannte Intelligenzia sieht sich der bitteren Realität hilflos ausgeliefert, ohne sich jedoch geschlagen zu geben. Quasi post festum soll nun der Pöbel vom Rednerpult aus politisiert werden. Doch versteht das Gros nur Böhmische und degradiert das edle Ansinnen der AktivistInnen zu Potemkinschen Dörfern der Gesamthomosexualität. Der CSD gerät zur Farce; der kleinste gemeinsame Nenner zur Falltür in das Identitätsgefängnis von ungenügend definiertem Schwul- und Lesbischseins.

In diesem Dillemma stünde eine inhaltliche Neudefinierung des CSD an. Um die Aussage nicht gänzlich zur Nullmeldung zu reduzieren und in ein nebulöses »Für Lesben und Schwule!« verkommen zu lassen, muß man mehr bieten als fromme Wünsche. Konkret und eindeutig müßte doch die Hülle Demonstration mit den hehren Zielen der Bewegung gefüllt werden können — und von denen gibt es genug. Nachdem das Thema Gewalt gegen Schwule schon von der Liste der zehn wichtigsten Topics zu schwinden drohte, mußte es erst kürzlich wieder Aufmerksamkeit erfahren: Der organisierte Überfall auf das Frühlingsfest im Gründerzeitmuseum brachte selbst nicht gerade für Aufklärung bekannten Blätter wie Bild und Super! auf den Plan. Das Empören war groß, die Wut unermeßlich und die Solidarität auch.

Das erstaunlich breite Bündnis, daß sich bei den Schwulen und Lesben bildete, war sich allerdings stillschweigend einig, daß der CSD nicht das geeignete Forum sei, Empörung und Widerstand zu präsentieren. Perdu war die Chance, der ewigen Lametei ein Ende und im Gerangel um Inhalte ein Zeichen zu setzen.

Stattdessen wurde Anfang Juni eine Demo ins Leben gerufen, welche wahrlich in die Annalen eingehen wird. Das allerdings weniger aufgrund strömender Massen denn vielmehr ob der extravaganten Strecke, die mit der S-Bahn nach Lichtenberg und in den Märkischen Sand führte.

Und so steht auch dieser CSD politisch verwaist und ist als Profilierungsfeld für auf- und abzuarbeitende Positionen freigegeben, was alle zu bemängeln scheinen, aber jeder durch sein Verhalten festschreibt.

Die einzige Konsequenz, die sich aus dem Hin und Her ziehen läßt, erkannte — freilich unerhört — schon vor geraumer Zeit »das Faktotum der Schwulenbewegung«: »So sollte der CSD auch bleiben: spritzig und süß wie Cherry-Cola, gay bis zum Anschlag!« Ob Elmar Kraushaar das allerdings ernst gemeint hat, blieb dahingestellt. Hoffen wir es. Dirk O. Evenson