: Gewerkschaftsstreit um Streik
■ DAG verteidigt Tarifabschluß / HBV: Kein Druck für frühzeitigen Abschluß
Streik bei KarstadtFoto: Tristan Vankann
Der Konflikt um den Tarifabschluß im Einzelhandel nimmt an Schärfe zu. Auch gestern streikten wieder mehrere hundert Mitglieder der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) und legten damit unter anderem die Bremer Kaufhäuser Karstadt, Leffers, Dyckhoff und Brinkmann ganz oder geschoßweise lahm. Während die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) gestern noch einmal ihren Tarifabschluß mit dem Einzelhandelsverband Nordsee vom vergangenen Dienstag als tarifpolitischen Erfolg verteidigte, kritisierte die HBV den Abschluß als vorschnell und unsozial.
Werner Dlugaiczyk, der Verhandlungsführer der DAG, versi
cherte gestern, daß er den Tarifvertrag „mit voller Überzeugung“ unterzeichnet habe. Danach bekommen die 35.000 Angestellten des Bremer Einzelhandels vom 1. Juli an 6,8 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung. Als besonderen Erfolg wertet der Gewerkschafter, daß das Endgehalt in der größten Lohngruppe 2 jetzt nach sechs statt bisher sieben Berufsjahren erreicht werden kann. Von den 35.000 Angestellten im Bremer Einzelhandel werden schätzungsweise 20.000 nach dieser Lohngruppe bezahlt.
Gleichzeitig kritisierte die DAG den seit vorgestern andauernden Steik der Konkurrenzgewerkschaft HBV. DAG-Bezirkssekretär Hartmut Frenzel erklärte
die Streikursache mit dem „Profilbedarf einiger HBV-Gewerkschafter“.
Helmut Thiel, Geschäftsführender Sekretär der HBV, verteidigte den Streik. Er hält den zwischen DAG und Einzelhandel vereinbarten Tarif für einen „Billigabschluß“. Sein Hauptargument: Um in Bremen die Endstufe der Gehaltgruppe 2 zu erreichen ( neu: 2.640 Mark brutto), braucht eine Angestellte im Einzelhandel auch nach dem neuen Tarifvertrag immer noch ein Jahr länger als ihre Kollegin in Hessen oder Nordrhein-Westfalen. „Damit gehen den Kolleginnen und Kollegen knapp 5.000 Mark in diesem einen Jahr flöten“, rechnete Thiel vor. Weiter kritisierte Thiel die im neuen Tarifvertrag festgeschriebenen Niedriglöhne für Auszubildende (800-980 Mark) und die Festschreibung der unteren Lohngruppe. „In allen anderen Ländern ist die Leichtlohngruppe ersatzlos gestrichen worden“, erklärte Thiel. HBV-Sekretär Martin Rzeppa erläuterte den Grund: „In der DAG sind vor allem Substitute und Abteilungsleiter organisiert.“
Die DAG weist den Vorwurf eines „Billigabschlusses“ zurück. Ihr kommt vor allem spanisch vor, daß die HBV den gleichen Tarifabschluß in Niedersachsen zusammen mit der DAG unterzeichnet habe, gegen den sie jetzt in Bremen Sturm läuft. „Wir glauben, daß die HBV ihren Mitgliedern gar nicht erklärt hat, wie wir abgeschlossen haben“, vermutet DAG-Sekretär Frenzel.
Inzwischen rumort es in den Belegschaften. Die Front verläuft nicht nur zwischen DAG und HBV. Mitten im Streikfeuer stehen die Unorganisierten des Einzelhandel, im Bundesdurchschnitt etwa 70 Prozent. Zwar solidarisierten sich die meisten mit ihren Gewerkschaftskollegen, aber sie bekommen weder Streikgeld noch genießen sie gewerkschaftlichen Schutz.
Heute und morgen wird wieder normal gearbeitet. Wenn sich bis Montag die Arbeitgeber nicht gerührt haben, wollen die streikenden Belegschaften eine zentrale Versammlung abhalten. Ein Einlenken der Arbeitgeber ist unwahrscheinlich: Bereits gestern hatte der Einzelhandelsverband Nordsee den DAG-Tarifvertrag für bindend erklärt. Markus Daschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen