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Inszenierte Übelkeit

■ Das Hoftheater Prenzlauer Berg spielt Thomas Braschs Stück »Lovely Rita«

Lovely Rita ist ein Besatzer-Text. Thomas Brasch hat ihn 1975/75 verfaßt: Nach dem letzten europäischen Krieg lebt jene 17jährige Waise zusammen mit fünf aus dem Zuchthaus ausgebrochenen Frauen in einem Eisenbahnwaggon. Jeden Freitag hurt Rita bei einem Offizier der Besatzungsmacht um Ausweispapiere für die Entflohenen. Als er diese verweigert, bringt sie den Besatzer um und wird Schauspielerin. »Du bist wie dieses Land: Freiwillig vergewaltigt, unterm fremden Schenkel, den Schoß geöffnet, fremden Zungen, Würmer gebärend, die kriechen, bis sie in die Grube fallen«, sagte Frau 5 am Beginn.

Der politischen Parallele verschließt sich die jüngste Premiere des Hoftheaters Prenzlauer Berg völlig. Den Regisseur Sascha Bunge (21), Theaterwissenschaftsstudent, interessieren die Extreme, die in Rita angelegt sind. Das hat ihm beim ersten Lesen, der Vorschlag dazu kam aus der Gruppe, Übelkeit verursacht. Zu viel für ein Frauenleben. Daher die — nicht grad neue — Idee, die Rita- Figur zu zerhacken. Sieben Spielerinnen geben Rita ein Gesicht, wobei der Brasch-Text im großen und ganzen abgearbeitet wird, gemixt mit Inge Müller und Friedrich Schiller. Die eine Rita ist fröhlich, die anderen sind verschlossen, aggressiv, geduldig, auffordernd, sehnsüchtig, geil. Einige Ritas tragen etwas Grünes, ein Tuch im Haar oder um den Hals oder gar ein samtenes Kleid.

Daß hier genau gearbeitet wurde, um Willkürliches zu vermeiden, läßt ein Inszenieren à la Castorf plausibel erscheinen. Allein, es bricht beim letzten Übergang. Da fällt der siebenten Rita nichts anderes ein, als der sechsten, die erschöpft vom Gerede über Wörter darniederliegt, ein »Ich bin dran« zuzurufen.

Bunge und seine Ko-Regisseurin Anja Thiemann, angehende Schauspielstudentin, versuchen, den intellektuellen Ansatz vom Reichtum der Persönlichkeit spielerisch umzusetzen. Dabei geraten Hänger im Vorzeigen. So muß sich eine R. original lange die Haare fönen, während die anderen R.s picknicken. Leute verlassen den Saal. — Am Anfang klappt es besser: Gebannt beobachtet man, wie Rita 1 Lakritz um Lakritz nach allen Regeln der Kaukunst verarbeitet (»Vivil get the power«, kommentiert ein Zuschauer.)

Außer Lakritz kommen Sonnenbrillen, Wasserpistolen, einem Hoppe-Hoppe-Peter (ein laufender Tisch-Dildo) und einem Tonbandgerät wichtige Funktionen zu. Sieben Frauen und zwei Männer, allesamt twens und Amateure, führen vor, wie frau in der Gruppe Macht erobert, gegen wen, für wie lange. Das alles außer Zeit und Raum. Wer also nicht auf geschichtliche Bezüglichkeiten des Brasch-Stückes aus ist, kann bei Lovely Rita in der Hoftheater-Fassung tiefe Einblicke in die weibliche Psyche nehmen. Na dann: Sonnenbrille aufsetzen. Laura Lorenz

Nächste Vorstellung: 20 Uhr im »Friteim«, Willi-Bredel-/Ecke Driesener Straße, nahe U- und S-Bahnhof Schönhauser Allee.

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