: Bosheit im Paradies
■ »Die Sprachen des Theaters und die Frauen« — Symposion und Gastspiele
Der Grundkonflikt der 40jährigen Ehe: Wer schlägt die Kakerlaken in der Küche tot? Über der ebenso lange währenden Unentschiedenheit dieser Frage ist der Mann zu einer Salzsäule erstarrt, der man noch die Mundwinkel, wenn gelächelt werden soll, zurechtrücken muß; die Frau hat sich über die Zeit des Streits immerhin die Möglichkeit des Träumens bewahrt — nach vierzig Jahren auferlegter Subsistenzehe inszeniert sie jetzt vor dem Ehemann ihr potentielles Leben: ihre erträumte Existenz als Kunstreiterin.
So beschreibt die argentinische, in Madrid lebende Autorin Diana Raznovich die dramatische Struktur ihrer Farce Paradise. Sie hält wenig von der Verteilung von gut und böse auf respektive Frau und Mann; an der Erbärmlichkeit des Lebens und der damit einhergehenden Verbitterung und Bosheit partizipieren nach ihrer Ansicht die Geschlechter in gleichem Maß. Nur ist die Frau für das Theatralische, jedenfalls im lateinamerikanischen Theater, aufgrund ihres direkteren Körper- und Gefühlsausdrucks besser begabt. Diana Raznovich hält sie für besonders geeignet, das Lächerliche der argentinischen Politik als persönliche Tragik zu verkörpern und damit der Gattung des Tragikomischen und Grotesken, einer besonders entwickelten Tradition des argentinischen Theaters, zu dienen. Diana Raznovich ist eine der wenigen argentinischen Autorinnen, deren Stücke auch in der Bundesrepublik bereits auf zahlreichen Bühnen zur Aufführung gelangt sind, obwohl es nach einer Untersuchung, von der die argentinische Journalistin Beatriz Seibel berichtet, immerhin mehr als 50 schreibende und inszenierende Frauen am argentinischen Theater gibt.
Diese rezeptorischen Lücken zu füllen ist nicht zuletzt Anliegen des gegenwärtig im Martin-Gropius- Bau stattfindenden Symposions Die Sprachen des Theaters und die Frauen, organisiert von Frauen im Theater, der »Dramaturgischen Gesellschaft« und dem »Internationalen Theaterinstitut«. Neben anderen Länderschwerpunkten wurde ein Lateinamerika-Schwerpunkt gesetzt; Hedda Kage als Dramaturgin vertritt die Mediengesellschaft Lateinamerika, die sie gründete, um dem Einbahnstraßencharakter des Kulturexports zwischen Deutschland und Lateinamerika abzuhelfen.
Bis Sonntag stehen Vorträge zum Theater Großbritanniens, der Niederlande, Skandinaviens und der UdSSR auf dem Programm. In der Verbindung von theoretischen Ausführungen sowohl zur Situation der Theater in den jeweiligen Ländern wie speziell zur Theaterarbeit von Frauen, zu Stücktexten von Autorinnen und Inszenierungsbeispielen soll der Frage nach einer möglichen weiblichen Theatersemiotik nachgegangen werden. So wird Brigitta Lindes Inszenierung von Gertrude Steins Ladies Voices mit Friederike Roths Gedanken zu Gertrude Stein konfrontiert; theoretisch und praktisch wird das Theater der Marguerite Duras vorgeführt; daneben werden eine Maria-Stuart-Bearbeitung von Denis Stoklos aus Argentinien, eine englische Produktion mit dem Titel The sale of demonic women unter der Regie der Polin Zofia Kalinska und eine Alkestis-Bearbeitung des polnischen Kulturinstituts gezeigt. Das Symposion wird am Sonntag morgen mit einer Podiumsdiskussion unter dem Motto »Mit tausend Zungen« beendet. Michaela Ott
26.-30. 6.: Vorträge ab 10 Uhr morgens im Martin-Gropius-Bau, Kinosaal, abends Aufführungen im Maxim-Gorki-Theater-Studio, in der Freien Volksbühne, im Theater Zerbrochene Fenster und im Polnischen Kulturinstitut.
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