piwik no script img

Jugoslawiens Bundesarmee marschiert

■ Mittwoch abend noch die friedliche Unabhängigkeitsfeier in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana, Stunden später bewegten sich die Panzer der Bundesarmee Richtung Flughafen und versuchten, die...

Jugoslawiens Bundesarmee marschiert Mittwoch abend noch die friedliche Unabhängigkeitsfeier in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana, Stunden später bewegten sich die Panzer der Bundesarmee Richtung Flughafen und versuchten, die Grenzübergänge nach Österreich zu besetzen. Wien ruft den KSZE-Krisenmechanismus aus.

Wird aus dem Militäraufmarsch in Slowenien ein gesamtjugoslawischer Militärputsch? Eine bange Frage gestern nicht nur in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Ununterbrochen rollten Panzerkolonnen der Bundesarmee aus den Kasernen Sloweniens, überflogen Jagdflugzeuge die Großstädte und landeten neue Verbände auf den Militärbasen. Das gesamte Programm von Radio und Fernsehen in Ljubljana ist auf „Befreiungskampf“ eingestellt. Ohne Unterlaß tönt es: „Slowenen , verteidigt eure Freiheit, euren Staat, unser freies Slowenien!“

Präsident Kucan hatte Donnerstag 9 Uhr erstmals erklärt, Slowenien werde seine Unabhängigkeit mit Waffengewalt verteidigen. Alle Slowenen in der Bundesarmee wurden aufgefordert, „sich an der Agression nicht zu beteiligen“. Kucan forderte die anderen jugoslawischen Republiken auf, die Aktionen der Bundesarmee zu verurteilen und seinem Staat beizustehen — bislang ohne Erfolg.

Im Laufe des Donnerstags waren Panzerkolonnen der Bundesarmee an die Grenzen Jugoslawiens zu Österreich und Italien vorgerückt. Es gab konträre Meldungen darüber, wer die Grenzpunkte faktisch kontrolliert, nach Mitteilung der österreichischen Grenzer scheinen aber der Loibl-Paß, der Karawankentunnel und andere wichtige Übergänge in der Hand der jugoslawischen Bundesarmee zu sein.

Bei Jesenice am Karawankentunnel soll es laut Sondersendung des jugoslawischen Fernsehens zu Schußwechseln gekommen sein, als die Armee mit Hubschraubern Truppen absetzte. Fast alle Übergänge sind blockiert, sei es durch sich gegenüberstehende slowenische und Bundeseinheiten, sei es durch die Panzerverbände auf den Zufahrtsstraßen.

Der Flughafen Ljubljana ist eingeschlossen. Dort haben sich starke, mit Panzerabwehrwaffen ausgerüstete Einheiten der slowenischen Territorialstreitkräfte verbarrikadiert. Die Nachrichtenagentur 'afp‘ meldet, die Bundesstreitkräfte hätten im Verlauf des Vormittags die Kontrolle über den Flughafen übernommen, nachdem sie die Panzersperren beseitigt hätten. Von slowenischer Seite wurde diese Version dementiert. Danach sollen nach wie vor die Start und Landebahnen durch Fahrzeuge der Territorialstreitkräfte blockiert sein.

In der Umgebung Ljubljanas, aber auch in der Stadt selbst sind Straßensperren aus Lastwagen, Baugerät und landwirtschaftlichen Maschinen errichtet worden. Immer wieder zeigt das Fernsehen die Menschen beim Barrikadenbau, aber auch Meldungen von deren Zerstörung gehen über den Äther. Die Bundesarmee soll rücksichtslos parkende Autos beim Vormarsch niederwalzen. Eine Bäckerei in Dravograd ist angeblich in die Luft gesprengt worden, weil sich der Bäcker geweigert habe, an vorbeiziehende Bundestruppen Brot auszugeben. Die ersten bewaffneten Zusammenstöße wurden aus Novo Mesto bei Ljubljana gemeldet.

Der Oberkommandierende des 5. (nördlichen) jugoslawischen Militärbezirks, Kolcek, schickte ein Telegramm an die slowenische Regierung, in dem es martialisch lautet: „Wir werden nach den Regeln des Kampfeinsatzes vorgehen. Jeder Widerstand wird gebrochen. Alle Folgen tragen jene, die zum Widerstand aufrufen oder ihn praktizieren.“ Im Gegenzug erklärte die slowenische Regierung, sie sei in der Lage, sofort 30.000 Mann gegen die Bundesarmee zu mobilisieren — eine Drohung, die angesichts der Tradition des Partisanenkriegs von der „Bundesseite“ nicht ignoriert werden kann.

Wer hat den Einsatzbefehl für die Armee gegeben? Die Armee hat keinen Oberbefehlshaber, seit die Wahl des Kroaten Mesic zum turnusmäßigen Präsidenten an der serbischen Ablehnungsfront gescheitert war. Aber auch Premier Markovic soll nach den Worten des (slowenischen) Mitglieds der Bundesregierung Pregl keine Verantwortung für den Militäreinsatz tragen. Für das slowenische Fernsehen steht allerdings fest: Markovic hat sich mit der Generalität verbunden und in der Nacht auf Donnerstag den Marschbefehl gutgeheißen. Nun wolle er die Aktion mittels einer Scheinberatung des Staatspräsidiums legitimieren lassen.

Die Sitzung fand gestern auch statt, die Nachrichtenagentur 'tanjug‘ meldete allerdings, von den acht Mitgliedern seien nur fünf gekommen. Slowenien, Kooatien und Mazedonien hätten ihre Mitglieder nicht entsandt. Der slowenische Präsident Kucan hatte schon zuvor erklärt, er werde hier noch an Treffen der jugoslawischen Republikpräsidenten teilnehmen, vor allem weil die jugowlawische Luftwaffe slowenischen Luftraum verletzt habe. Roland Hofwiler/C.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen