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Was steckt hinter Iraks Atomgeheimnis?

Ein übergelaufener irakischer Atomtechniker enthüllt unbekannte Details über Iraks geheimes Atomprogramm  ■ Von Thomas Scheuer

Saddam Husseins Militärs versuchen offensichtlich, die UNO-Experten an der Nase herumzuführen, die im Auftrag des UN-Sicherheitsrates das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen feststellen und seine Vernichtung überwachen sollen. Zwei Atomanlagen, zu denen die UNO-Inspekteure in der vergangenen und — nach tagelanger Verzögerung — Anfang dieser Woche Zutritt erhielten, waren zuvor offensichtlich in größter Hektik ausgeräumt worden. Dabei handelt es sich um die Anlage Abu-Gharaib nahe Bagdad sowie um einen Komplex namens Tarmiya, etwa 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Besonders brisant aber scheint ein geheimes Atomprojekt, das US-Geheimdienste jetzt in den kurdischen Bergen, etwa 50 Kilometer nördlich von Mosul, direkt neben einem im Bau befindlichen 400-Megawatt-Wasserkraftwerk am Oberlauf des Tigris lokalisiert haben. Die Anlage neben dem Badush-Damm war zwar schon früher auf Satellitenfotos ausgemacht, von CIA-Experten aber als Raketenkomplex eingestuft worden. Erst die Aussagen eines im Mai übergelaufenen irakischen Atomtechnikers, dessen Vernehmungen interessanterweise zum Teil in der BRD stattfanden, brachten die US-Späher auf die Atom-Spur. Entsprechende Details haben die USA am Donnerstag dem UNO-Sicherheitsrat vorgelegt. Danach sollen die Irakis beim Badush-Damm an einer Anreicherungsanlage zur Gewinnung von waffenfähigem Uran 235 gebastelt haben. Für Überraschung unter den CIA-Experten sorgten die Angaben des Überläufers zum technischen Verfahren: Danach sollte das Uran mittels der sogenannten Gasdiffusion angereichert werden. Bei diesem Verfahren wird Urangas durch kilometerlange Rohrsysteme gejagt, sogenannte „Calutrons“, die mit Tausenden von Metallmembranen ausgestattet sind. Mit Hilfe von Magnetismus werden die Uran-253-Isotopen von den im Natururan überwiegenden Uran-238-Isotopen abgetrennt. Von allen Anreicherungstechniken frißt die Gasdiffussion die meiste Energie, was die Plazierung des Komplexes direkt neben einem Wasserkraftwerk erklärt. Für die Anreicherungsanlage neben dem Badush-Damm waren höchst wahrscheinlich auch jene neun Generatoren vorgesehen, die die US-Firma Hipotronics 1989 in den Irak lieferte. Die Exporte, so berichteten US-Zeitungen diese Woche, waren vom US- Handelsministerium seinerzeit anstandslos abgesegnet worden.

Bislang waren westliche Geheimdienstexperten davon ausgegangen, daß Bagdads Atomforscher bei der Urananreicherung auf die Zentrifugentechnik setzten; dies nicht zuletzt aufgrund der technischen Auswertung aufgeflogener Beschaffungsaktionen der Irakis. Arbeiten an Zentrifugenanlagen wurden bisher im Atomforschungszentrum Tuwaitha und einem weiteren Komplex bei Bagdad lokalisiert.

Die jüngst entdeckte Existenz der „Calutrons“ im Nordirak macht technisch durchaus einen Sinn: Durch die Kombination der beiden höchst komplizierten Anreicherungstechniken wird deren jeweilige Handhabung vereinfacht. Der Trick hat ein historisches Vorbild: das „Manhattan-Project“. Unter diesem Decknamen entwickelten US-Atomforscher in den frühen 40er Jahren in Oak Rich/Tennessee jene beiden Atombomben, die 1945 auf Nagasaki und Hiroshima abgeworfen wurden. Bisher vorliegende Erkenntnisse über den Badush-Damm legen den Schluß nahe, so der US- amerikanische Atom-Fachjournalist Marc Hibbs gegenüber der taz, „daß die Irakis zumindest wußten, wie das ,Manhattan Project‘ funktionierte“.

Ob und wieviel Uran in der Anlage bereits auf bombenfähiges Niveau angereichert wurde, darüber sind sich die Auswerter noch nicht einig. Die 40 Kilogramm, die der Überläufer nannte und die seit einer Woche durch die Medien geistern, werden von US-Experten jedoch stark angezweifelt. Erstens dürfte der Überläufer, so einer der Vernehmer, aufgrund seiner Stellung im Projekt darüber keine exakten Erkenntnisse erlangt haben; zweitens könnte die Anlage, selbst wenn der Bau weit fortgeschritten sei, niemals auf vollen Touren gelaufen sein, da die nötige Stromquelle, nämlich das benachbarte Wasserkraftwerk, bis heute nicht fertiggestellt sei. Außerdem hätten die bei dieser Art der Isotopentrennung entstehenden starken Magnetfelder unbedingt von Aufklärungsfliegern entdeckt werden müssen. Namhafte Experten bleiben auch nach den jüngsten Entdeckungen bei ihrer Einschätzung, daß der Irak zwar besorgniserregende Anstrengungen zur Erlangung von Atomwaffen unternommen habe, von diesem Ziel bei Kriegsausbruch aber noch mindestens fünf bis zehn Jahre entfernt gewesen sei.

Washington (dpa) — Das Pentagon entwirft nach Presseberichten Pläne für einen möglichen Angriff auf versteckte irakische Atomanlagen. Hohe Sicherheitsberater hätten dies erörtert. Erwogen werde ein Angriff mit Präzisionsbomben. Auf die Frage, ob es sich lediglich um Säbelrasseln handele, meinte ein US- Beamter: „Wir haben bereits früher gezeigt, daß wir nicht bluffen.“ Offiziell wurden die Pläne weder bestätigt noch dementiert.

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