piwik no script img

„Ich komme mir vor wie meine Oma“

■ Oder: Hat das „Heimchen am Herd“ im Osten eine Renaissance? — über zwei arbeitslose Frauen, ihre Perspektiven und ihr Selbstverständnis im Beruf

„Wir wollten es so haben. Und Freiheit bringt Arbeitslosigkeit mit sich. Aber lieber das durchmachen, als leben wie früher in der DDR.“ (Ines Kreuziger)

„Ich glaube, daß die Frauen sich noch zurücksehnen werden in die alte DDR. Nicht wegen der politischen Zustände, sondern weil ihre Verwirklichung jetzt sehr gefährdet ist.“ (Erika Koch*)

Zwei Frauen aus den neuen Bundesländern, zwei Frauen, die der Arbeitsmarkt nicht mehr will. Ines Kreuziger ist Kindergärtnerin, 23 Jahre alt und in einem Monat ohne Job. Erika Koch, 52jährige Akademikerin, kurvt seit Januar in der Warteschleife. Ab September hat es sich für die Berlinerin ausgewartet.

Zwei Frauen, die Mutter und Tochter sein könnten, und die beide eines wollen: „Ihren Mann stehen“ — wenn man sie lassen würde. Aber damit ist fast schon Schluß mit der Gemeinsamkeit. „Wenn ich will, kann ich was tun. Die Möglichkeiten dazu sind da.“ Die kleine, kräftige Kindergärtnerin hüpft in ihrem Sessel, daß er quietscht. Diesen Optimismus beobachten BeraterInnen vom Arbeitslosenverband oft bei jungen Frauen: „Die Älteren schätzen ihre Lage real ein. Die Jüngeren glauben, wenn sie nur arbeiten wollen, wird sich schon was finden.“

Ihren Arbeitsplatz im Kreis Fürstenwalde ist Ines Kreuziger los, weil sie mehr wollte, als Kinder zu betreuen. Sie bewarb sich um einen Studienplatz an der Ostberliner Fachschule für Sozialpädagogik. Es klappte, im Mai ließ sie sich kündigen. Doch die Fachschule strich den Studiengang. Jetzt steht sie da — ohne Studium, ohne Arbeit. Die Kreisverwaltung war froh, auf so leichte Art eine Stelle abzubauen und nahm die Kündigung nicht zurück. Auch ABM gibt es für Ines Kreuziger nicht. Sie schlägt mit der Hand in die Faust: „Wir Frauen müssen powern. Es gibt viel zuwenige, die sich engagieren. Es herrscht die große Depression.“

Die Frau im anderen Sessel sitzt ganz gerade und brütet vor sich hin. „Ich hab' eher Wut oder Trotz. Ich will mich ja nicht kleinmachen lassen. Aber es kommt soviel auf mich zu.“ Erika Koch gehört zu der DDR- Generation, die das sozialistische Leitbild von der berufstätigen, qualifizierten Frau geprägt hat. Von 1949 bis in die 60er Jahre war das Motto der Frauenpolitik: Ausbildungsdefizite verringern, Qualifizierung in technischen Berufen vorantreiben, verstärkt in Leitungsfunktionen einsetzen. Um über die Frauen im ökonomischen Bereich verfügen zu können, machte man ihnen zahlreiche Angebote, die sie im Haushalt und bei der Kinderbetreuung entlasten sollten.

„Damals haben viele Frauen in der DDR ganz selbstverständlich die Ärmel aufgekrempelt. Du konntes Abi machen, studieren. Meine Möglichkeiten schienen mir unbegrenzt. Ich hab' mich frei gefühlt, echt frei.“ Erika Koch studierte Sinologie, arbeitete lange im publizistischen Bereich, die letzten Jahre vor der Wende an der Universität. Wie in der Ex-DDR üblich (dort waren noch 1990 über 70 Prozent der Frauen erwerbstätig, in den alten Ländern knapp 50), hat sie Beruf, Mann, Kinder und Haushalt unter einen Hut gebracht. „Die Doppelbelastung war für mich selbstverständlich. Ich kann auch heute keine kritische Haltung dazu finden.“

Die Augen hinter der großen Brille starren ins Leere. Doppelt belastet ist die abgewickelte Wissenschaftlerin, die trotz Umschulung keine Hoffnung auf eine neue Stelle hat, auch jetzt wieder. Ihre 24jährige Tochter wird mit dem kleinen Enkelkind nach Hause zurückkommen; die Ehe hat die Wende nicht überstanden. Vor zwei Tagen hat Erika Kochs Tochter ihr Diplom in Landwirtschaft gemacht. Die Hoffnung auf eine Arbeitsstelle ist aussichtslos.

Daß Frauen in jedem Wirtschaftssystem das Potential sind, das — je nach ökonomischem Bedarf — mal in den Beruf gedrängt, mal in den häuslichen Bereich zurückgedrängt wird, wird in der Ex-DDR vorexerziert. Westdeutsche Politiker reden von der großen Freiheit und haben im Osten das Heimchen wiederentdeckt. Ines Kreuziger schüttelt sich und ihre braunen Locken: „Wir sind viel selbständiger und selbstbewußter als die West-Frauen. Wir wollen unseren Beruf. Ein paar Jahre aussetzen, wenn die Kinder klein sind, meinetwegen. Aber dann doch nicht mehr.“

Natürlich gibt es Frauen, die zuerst froh waren, als sie nicht mehr acht Stunden malochen mußten. „Aber spätestens nach einem halben Jahr kamen sie und wollten unbedingt eine Arbeit“, erzählen die BeraterInnen vom Arbeitslosenverband. „Ihnen fällt zu Hause die Decke auf den Kopf. Außerdem gehört ihre Unabhängigkeit zur DDR-Mentalität.“ — „Viele Frauen mußten arbeiten.“ Das weiß auch Erika Koch. „Aber das war es nicht nur. Wenn ich mir vorstelle, daß ich finanziell von meinem Mann abhänge... Wie furchtbar. Da komm ich mir vor, wie meine eigene Oma.“

Daß es Frauen weniger an den Herd drängt, als sich manche Politiker wünschen, kann auch die Berliner Wissenschaftlerin Barbara Rocksloh-Papendieck bestätigen. Sie hat bei ihren Untersuchungen keine getroffen, die gerne zu Hause bleiben wollte. Und in der bisher einzigen repräsentativen Umfrage zu „Frauen in den neuen Bundesländern“ von 1990 schreibt Infas: „Vielmehr ergeben sich mehrere Belege dafür, daß für die übergroße Mehrheit der befragten Frauen die Erwerbstätigkeit ein selbstverständliches und obendrein unverzichtbares Element ihrer Lebensplanung ist. Die Alternativrolle ,Hausfrau‘ existiert generell nicht als Lebensperspektive.“ Bascha Mika

*Name von der Red. geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen