: Die D-Mark aller Deutschen brachte nicht die Einheit
■ Am 1.Juli 1990 wurde die Ankoppelung der vormals mauergeschützten DDR-Wirtschaft an den Weltmarkt vollzogen. Von einem Tag auf den anderen wurde mit der Wirtschafts-, Währungs- und...
Die D-Mark aller Deutschen brachte nicht die Einheit Am 1.Juli 1990 wurde die Ankoppelung der vormals mauergeschützten DDR-Wirtschaft an den Weltmarkt vollzogen. Von einem Tag auf den anderen wurde mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der BRD und der DDR die Marktwirtschaft in den künftigen neuen Bundesländern eingeführt. Ein Jahr nach dem ökonomischen Mammutexperiment gibt es keinen Grund zur Euphorie für die 16 Millionen Ostdeutschen.
Genau ein Jahr nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der Noch-DDR wird der kommende Montag zum Stichtag für die BürgerInnen der alten Bundesrepublik. Bislang ist für sie — ausgenommen die WestberlinerInnen — der Anschluß der DDR lediglich ein Politspektakel gewesen, das sich entspannt vom Fernsehsessel aus betrachten ließ. Ab nächste Woche wird das anders. Selbst im tiefsten Westen der Republik werden die Menschen erstmals spüren, daß die Einheit nicht einseitig eine Neuerung für Ostdeutschland ist — und das am Portemonnaie: Sie alle müssen 7,5 Prozent mehr Lohn- und Einkommenssteuern zahlen, mehr Geld für Heizung und Benzin ausgeben.
Während die Westdeutschen in den ersten anderthalb Jahren nach Grenzöffnung auf dem neuen Markt im Osten zunächst Riesengeschäfte machen konnten, wird ihnen nun die Rechnung präsentiert über die Kosten der Einheit. 150 Milliarden Mark, das sind 150.000 mal eine Million, überweist der Westen in diesem Jahr in die neuen Bundesländer — was sich die reiche alte Bundesrepublik durchaus leisten kann, allerdings nicht jedes Jahr. Doch selbst jemand wie der Unternehmensberater Roland Berger schätzt, daß dreistellige Milliardenbeträge als Sozialtransfers auch in den nächsten beiden Jahren folgen müssen, bis dann vielleicht zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr ausreichen könnten. Auch wenn die Wirtschaftsforschungsinstitute recht haben mit ihren Prognosen, daß die Talsohle in diesem Sommer durchschritten wird: Die Massenarbeitslosigkeit wird frühestens, so das Ifo-Institut, ab 1993 abgebaut werden.
Nach einem Jahr Währungsunion sieht es „schlimmer aus als gedacht“, konstatiert selbst die ,Wirtschaftswoche‘. Ein Szenario, das der Berliner Wissenschaftler Kurt Hübner in der taz vom 7. Februar 1990 veröffentlichte, mag damals, während der Diskussion um die Währungsunion, radikal pessimistisch erschienen sein: „Ein ,Notopfer Ost‘ in Gestalt von Steuererhöhungen und ,Zwangsanleihen‘ dürfte mit ebenso großer Sicherheit zu erwarten sein wie eine breitflächige Subventionierung der DDR-Wirtschaft“, schrieb Hübner. Aus heutiger Sicht eine exakte Voraussage.
Durch die Währungsunion wurde die DDR-Wirtschaft praktisch über Nacht dem Wettbewerb des Weltmarkts ausgesetzt. Dadurch, daß die DDR-Währung real nur ein Drittel soviel wert gewesen ist wie die D-Mark, wurden ihre Produkte schlagartig dreimal so teuer. Vorzuwerfen ist der Bunderegierung auf jeden Fall, daß sie bis in die ersten beiden Monate dieses Jahres praktisch tatenlos der rasanten Talfahrt der gesamten DDR-Volkswirtschaft zusah, ehe sie ihre Steuerlüge aufgab. Außerdem verzögerte sie unfreiwillig das Engagement von Westunternehmen. Für sie lohnte sich das Abwarten allemal, weil die Fördergelder für Investitionen erst nach und nach erhöht wurden.
Allerdings: Die Wirtschaft der DDR hätte auch im Schutz der alten Währung nicht mehr allzu lange durchgehalten. Die DDR war bei Maueröffnung so gut wie Pleite, seit Anfang der 80er Jahre lebte man von der Substanz; der Export war, verschleiert durch allerlei Rechenkunststücke, zunehmend ein Minusgeschäft. Und den Menschen in Polen, der CSFR und Ungarn (s. Seite 11) mit ihren jeweils eigenen Währungen geht es ja keinesfalls besser als den Ostdeutschen.
Investiert wird in den neuen Bundesländern derzeit vor allem Steuergeld aus Westdeutschland. Das Ifo- Institut errechnete, daß Privatunternehmen in diesem Jahr lediglich 13,5 Milliarden Mark, im nächsten Jahr 19 Milliarden Mark investieren werden. Einzelne Branchen verzeichnen bereits Aufwärtstrends: Banken, Versicherungen und Imbißbuden leben ganz gut von Grundbedürfnissen, auch dem nach Sicherheit und von der Notwendigkeit, ein Girokonto — wenn auch nur für den Erhalt von Sozialhilfe — zu unterhalten. Und die Baubranche freut sich über die ersten Aufträge, zumeist von Kommunen.
Sorgen bereitet es westdeutschen Wirtschaftsexperten jedoch, daß der Löwenanteil der Westhilfen eben nicht Investitionen sind: Die Überweisungen sind zum größten Teil Subventionen der Einkommen und machen so zwei Drittel des Bruttosozialprodukts der neuen Länder aus. Das Problem dabei: Das Geld dient kaum als Hilfe zur Selbsthilfe; ist's erst einmal verkonsumiert, stehen die Menschen erneut ohne Einkünfte da. Und die reichen Verwandten im Westen werden im Jahr zwei der Währungseinheit auch nicht mehr reicher werden.
Die Preise in Westdeutschland sind bereits vor den Steuererhöhungen, im Juni, um 0,5 Prozent gestiegen. Die Deutsche Bank schätzt, daß das Leben im Juli und August durch die Steuererhöhungen um weitere 0,9 Prozent teurer wird. Nach Ansicht von Wirtschaftsforschungsinstituten mehren sich die Anzeichen für einen Konjunkturabschwung in Westdeutschland, verursacht durch nachlassende Konsumfreudigkeit (siehe höhere Preise) und die hohen Zinsen, welche die Bundesbank angesichts des 70-Milliarden-Lochs im Bundeshaushalt nicht so bald senken wird. Täte sie das, würde die Inflationsrate noch schneller steigen. Ein Teufelskreis. Donata Riedel
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