piwik no script img

„Kultur ist nicht Sozialpolitik“

■ H. Scherf antwortet auf die Kritik an seinem „Aktionsprogramm“ 1992-95

Die Kulturszene glaubt Ihnen die hehren Ziele Ihres 60 Millionen schweren „Kulturpolitischen Aktionsprogramms“ nicht. (vgl. taz 25.6.) Haben Sie einen Fehler gemacht?

Kultursenator Henning Scherf: Das ist ein Vermittlungsproblem. Viele, für die das ganze begonnen worden ist, sind nicht genügend informiert, müssen jetzt einbezogen werden.

Warum nicht früher?

Ich stand unter Zeitdruck. Ich mußte nach Beschluß der Bürgerschaft schon Ende 1990 einen solchen Plan vorlegen. Ich habe mit viel Mühe die internen Abstimmungen hingekriegt, gegen jede Öffentlichkeit geschützt, anders hätte ich den Senatsbeschluß nicht gekriegt. Das ganze ist bisher ja nur ein Rahmen, der jetzt ausgefülllt werden muß.

Wieso ein neues Kulturbüro?

Das Kulturbüro haben wir erfunden, um in das WAP reinzukommen, diese Geldtöpfe des Wirtschaftsressorts. Die Kultur hat das bisher nicht geschafft. Das Kulturbüro soll professionelles Kulturmanagement bringen, keine neue Bürokratie. Das muß ganz bewußt in einer Distanz zur Verwaltung aufgebaut werden; wenn uns da nichts einfällt außer Klagen, dann geht das ganze Geld zurück zum Wirtschaftssenator, der steckt die 8 Millionen in Werftindustrie und Raumfahrt.

Woher kommt der Ärger von Herrn Salzmann über die fehlenden Ausstellungsmittel?

Er hat mir diese aktuelle Enttäuschung nur über seine Zeitung mitgeteilt.

Nach Ihrem Parlamentsauftritt ist das Verhältnis nun kaputt.

Wir hatten nie ein Verhältnis. Ich habe ganz wenige Berührungspunkte mit ihm gehabt. Der Kunstverein ist eine uralte bremische Adresse, die vom Anspruch her von staatlicher Unterstützung unabhängig sein will. 1988 haben wir 1,8 Millionen, in 1991 3 Millonen 65.000 Mark Grundfinanzierung gegeben. Das zeigt, daß die Stadt sich da nicht abmeldet.

Ist die Renovierung der Glocke in den 60 Millionen versteckt?

Bei den 60 Millonen geht es wirklich nur um zusätzliche Mittel, das wollen einige mißverstehen. Das Glocken-Projekt ist über die Jahre immer direkt mit dem Rathaus verhandelt worden, weil die Finanzierung außerhalb von Kulturhaushaltsmitteln gefunden werden soll. Ich hoffe, daß uns das gelingt.

Haben Sie inzwischen Termine mit Kritikern aus der Kulturszene?

Nicht mit allen. Es gibt einige, die haben kein Interesse, mit mir zu reden, die wollen lieber mit mir Pressearbeit machen.

Sie gelten sonst als kommunikationsfreudiger. Die Kulturbehörde kann das Aktionsprogramm auch nicht erklären.

Das ist nicht ganz unkompliziert, das ist richtig. Es sind aber auch bei den Kritikern unterschiedliche Interessen gemischt, da sitzen Leute mit hohen Bankkonten, und da sitzen elend arme Leute, die sich über Sozialhilfe finanzieren.

Es sieht so aus, als wollten sie Kulturpolitik gegen die Kulturszene durchsetzen.

Nein, ich will ein Angebot verteidigen gegen Kritiker, die es gar nicht angeguckt haben. Ich will dazu beitragen, daß die Kultur in der Region wachsende Bedeutung bekommt. Dafür muß man versuchen, mit denen, die vorhanden sind, klarzumkommen, man muß aber auch an weitere denken. Bremen ist sehr interessant auch für Leute, die von draußen kommen. das ist kein closed shop hier. Ich sehe große Entwicklungsmöglichkeiten, aber das müssen nicht alle die, die jetzt drin sind, beteiligt sein. Man muß im Kulturbetrieb aushalten, daß es da auch ständig große Versagungsprobleme gibt, richtige Flops, Scheitern. Das ist schwer auszuhalten, aber das gehört dazu.

Wen haben Sie da im Auge?

Eine große Zahl von Leuten, die sich auch besonders heftig melden und möglicherweise künstlerische Probleme kompensieren, wenn sie finanzielle Probleme artikulieren. Ich würde natürlich gern allen mehr Ermunterung organisieren, aber das geht in der Kultur nicht. Mir hat einmal jemand gesagt: Verwechsel' bloß nicht Kulturpolitik mit Sozialpolitik. Zur Kultur gehört das Scheitern dazu. Int.: K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen