»Wir werden eine Arbeitslosenorganisation«

■ Ein Gespräch mit Manfred Foede, IG-Metall-Vorsitzender Berlin, über Beschäftigungsgesellschaften und Arbeitslosigkeit

taz: Herr Foede, wieviele Metaller sind zum 30. Juni in Berlin und Brandenburg entlassen worden?

Manfred Foede: Nach einer Umfrage bei Betriebsräten von 76 Betrieben rechnen wir mit 26.000 Kündigungen. Weil wir aber nur die Hälfte aller Betriebe befragt haben, glauben wir, daß alleine in Ost-Berlin 20.000 arbeitslos werden.

Haben diese Kollegen die Kündigung schon in der Tasche? Die Bundesregierung hat doch die Kurzarbeiterregelung bis Ende des Jahres verlängert.

Einige Betriebe haben die Kündigungsfristen nicht eingehalten und konnten deshalb locker Null-Kurzarbeit anordnen. Diese Kollegen werden ihre Kündigung zum 30. September oder 31. Dezember erhalten. Aber diese Kurzarbeit ist nichts anderes als Arbeitlosigkeit. Der Tarifvertrag, den wir abgeschlossen hatten, und der jetzt ausläuft, besagte, daß Arbeitnehmer bis zum 30. Juni Kurzarbeitergeld plus eine betriebliche Zulage erhalten. Sie erhielten dadurch fast soviel Geld wie als Vollzeitbeschäftigte. Geldlich macht es ab dem 1. Juli keinen Unterschied aus, ob jemand arbeitlos gemeldet oder weiter Kurzarbeitergeld erhält. Diese sogenannte Verlängerung ist eine soziale Verkleisterung des Problems durch die Bundesregierung.

Die Gewerkschaft hätte also den Kündigungsschutzvertrag verlängern müssen, hat sie aber nicht.

Nein. Aber besser als eine Verlängerung dieses Vertrages wäre es gewesen, wenn wir verhandelt hätten, daß die Betriebe sich an den Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (BQG) beteiligen. Die Betriebe hätten gezwungen werden müssen, Materialien, Gebäude Räume und Know-how zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitnehmer hätten sich über ABM-Maßnahmen weiter ausbilden oder umschulen lassen können. Dann hätten sie heute ein wesentlich höheres Einkommen, der Kontakt zum Betrieb wäre über die BQG geblieben. Die Betriebe wären auch wirtschaftlich nicht direkt tangiert worden, weil sie trotzdem verkauft werden könnten.

Wären die Metaller bereit gewesen, für so einen strukturpolitischen Vertrag auf die Straße zu gehen?

Wenn wir bei der letzten Tarifrunde beide Forderungen — Lohnerhöhungen und BQGs — miteinander verbunden hätten, vielleicht. Eine gewisse Entsolidarisierung zwischen denen, die Arbeit haben und jetzt das Gleiche wie die im Westen verdienen wollen und denen, die mit Kurzarbeit in die Ecke gestellt sind, ist ja jetzt erst sichtbar. Das haben wir nicht geahnt.

Jetzt rächt sich das. Die Betriebe sagen, sie beteiligen sich nur an den BQGs, wenn die Treuhand sich beteiligt. Und die Treuhand sagt, wir sind kein staatliches Unternehmen, die Betriebe, das Land, die Kommunen sollen sie finanzieren. Was kann die IGM jetzt noch tun?

Wenig. Wir haben im Juni mit dem Verband der Metall- und Elektroindustrie für Berlin und Brandenburg ein Rahmenabkommen über die Gründung von BQGs abgeschlossen. Darin empfiehlt der Verband seinen Firmen, sich an diesen Gesellschaften zu beteiligen. Aber weil nur empfohlen wird, der Verband sich gegen unsere Absprache nicht dafür einsetzt und die Finanzierung ungesichert bleibt, werden keine gegründet. Rechtlich sind wir am Ende.

Im Moment sieht es doch so aus: Die IGM hat keine Möglichkeiten, die BQGs zu erzwingen. Die Bundesregierung zwingt die Treuhand nicht, sich zu beteiligen. Senatsappelle an die Treuhand bleiben wirkungslos. Dazu beginnt in den Betrieben die Entsolidarisierung. Die Kollegen beginnen zu resignieren. Auf wen können sie noch bauen?

Auf uns schon noch. Die Frage ist nur, wie. Wir können Betriebsbesetzungen nicht in den Himmel heben. Wir können nur auf die nächsten Tarifauseinandersetzungen verweisen. Bis dahin müssen wir eindeutig etwas Neues machen, nämlich Lobbypolitik, die in eine Kampfpolitik übergehen muß. Denn Bitten und Betteln, das wollen wir nicht.

Steht die IG Metall mit dem Rücken an der Wand?.

Nein. Ohne die IGM wären heute schon mehr Betriebe nicht mehr vorhanden, und ohne die IGM wären Qualifizierungsgesellschaften wie die beim »Dampferzeugerbau« in der Allee der Kosmonauten nicht da. Wir haben die Anzeichen, daß auch Bundesregierung, Treuhand und Arbeitgeberverband die BQGs wollen, zu ernst genommen. Ihre Politik können wir jetzt nur zur Kenntnis nehmen. Das ist bitter, aber vielleicht führt das zu einem neuen Lernprozeß gegenüber dem Arbeitgeberverband. Unsere Verhandler werde härter auftreten müssen.

Können sie das, wenn immer mehr Metaller arbeitslos werden?

Nur wenn es Hoffnungsanzeichen irgendwo gibt. Aber wenn es die nicht gibt, die Funktionäre ihre arbeitslosen Kollegen im Stich lassen und die, die draußen sind, von uns nur in Ruhe gelassen werden wollen, dann weiß ich nicht, was wird.

Sicher wird die Ost/West-Wanderung vor allem in Berlin zunehmen.

Das ist ja unser großes Problem. Ich gehe davon aus, daß die Auseinandersetzung in Berlin unter den Arbeitnehmern ab 1. Juli ungleich schärfer werden. Einer ganzen Menge von gekündigten Ostberliner Facharbeitern wird es egal sein, daß sie im Westteil nicht in die Tarifgruppe 5, wo sie hingehören, eingestuft werden, sondern darunter. Was sie dann, trotz Abgruppierung, verdienen, wird immer noch erheblich mehr Geld sein, als das, was sie als Arbeitslose im Ostteil bekommen. Viele werden sich auch unterhalb der steuerfreien 470-Mark-Grenze verdingen. Sie werden als Kampfansage im alten Westteil auftreten und das wird zu wahnsinnigen Auseinandersetzungen führen. Die Arbeitgeber nutzen dieses ja auch, indem sie sich formal an den Betrieben drüben beteiligen, die Arbeitnehmer aber zur sogenannten Qualifizierung in den Westteil holen, sie aber in Wirklichkeit zu Osttarifen arbeiten lassen. Und ich bin überzeugt davon, daß diese Auseinandersetzung zu Lasten unserer Frauen und ausländischen Arbeitnehmer gehen wird. Das Gespräch führte Anita Kugler