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Gegen Schwarzarbeit: Grünes Licht für „grüne“ Karte

Mit dem 1.Juli 1991 kommt der neue Ausweis für alle Beschäftigten/ Das Bundesarbeitsministerium will mit dem Sozialversicherungsausweis den Schwarzarbeitern das Handwerk legen/ Die Fahnder der Polizei sind überhaupt nicht begeistert/ Datenschutzprobleme sind noch längst nicht vom Tisch  ■ Von Frank Holzkamp

Das Ende der Warteschleife und das Auslaufen der Tarifverträge in den neuen Bundesländern wird dazu führen, daß sich immer mehr Menschen auf den Fluren der dortigen Arbeits- und Sozialämter drängen werden. Wenn sich das Elend schon nicht aufhalten läßt, hat sich das Bundesarbeitsministerium passend zum 1. Juli ein Instrument verschafft, um das gebeutelte soziale Netz wieder in den festen Griff der Verwaltung zu bekommen. Heute treten die Vorschriften über den neuen Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) in Kraft. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers: „Aufdeckung von illegalen Beschäftigungsverhältnissen“ und „Verhinderung des Leistungsmißbrauchs“. Dem Bund Deutscher Kriminalbeamter zufolge entgehen den Finanzämtern und Sozialversicherungsträgern jährlich 50 bis 200 Millarden Mark durch Schwarzarbeit.

Ebenso vage wie diese Schätzung sind allerdings die Erfolgsaussichten des SV-Ausweises: „Das ist rausgeschmissenes Geld. Die, die wirklich an der organisierten Schwarzarbeit verdienen, werden über den Sozialversicherungsausweis nur lachen.“ Achim Ciupka weiß, wovon er spricht. Der Fahnder ist Leiter der Inspektion III zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung bei der Berliner Polizei. „Da wird den Bürgern mal wieder eimerweise Sand in die Augen gestreut“, aber gegen kriminelle Verleiher sei so nicht anzukommen.

Am anderen Ende der Skala steht der sogenannte „Mißbrauch sozialer Leistungen“, wie Sozialhilfe beziehen und nebenbei jobben, sich arbeitslos melden und hier und da ein paar Mark schwarz verdienen. Für wenig Verdienende oft die einzige Chance, sich einigermaßen über Wasser zu halten. Aber eben auch eine Möglichkeit zur kriminellen Bereicherung, so die Argumente für den SV-Ausweis. Gerade wegen der ständig wachsenden Arbeitslosenzahl wird in den neuen Ländern mit einer Zunahme der organisierten Schwarzarbeit gerechnet.

Alle Beschäftigten, die nach dem 1.Juli 1991 erstmals ein Arbeitsverhältnis beginnen, bekommen den Ausweis gleich, auf dem Name und und Rentenversicherungsnummer vermerkt sind. An alle übrigen Beschäftigten, in den alten Ländern sind das über 22 Millionen, wird der SV-Ausweis bis Ende 1995 verschickt. Bis dahin funktioniert die Nummer auf dem Sozialversicherungsnachweisheft als Ersatz.

In den „sensiblen Branchen“ des Baugewerbe, der Gebäudereinigung, im Schaustellergewerbe und beim Messebau, muß zusätzlich ein Paßfoto in den SV-Ausweis geklebt werden. Das Bundesarbeitsministerium unterstellt, daß in diesen Branchen häufig illegal gearbeitet wird. Das Foto soll die Kontrolle vor Ort erleichtern. Zusätzlich gibt es in diesen Bereichen eine Mitführungspflicht inklusive Bußgeldandrohung. Allerdings erhalten auch Beschäftigte, die eigentlich gar nicht rentenversicherungspflichtig sind, den Ausweis: Miniverdiener mit einem Einkommen von bis zu 480 DM im Monat ebenso wie Spitzenverdiener. Ausnahmen gelten nur für Beamte, Studenten, Schüler und einige andere Gruppen.

Der SV-Ausweis soll aber vor allem abschreckend wirken. Denn wer arbeitslos ist oder Sozialhilfe bezieht, muß den SV-Ausweis beim Arbeits- oder Sozialamt hinterlegen. Umgedreht ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich den Ausweis bei der Einstellung zeigen zu lassen. Die Daten müssen an die Erfassungsstelle der Krankenversicherung weitergemeldet werden. In den „sensiblen Branchen“ muß die Meldung bereits am ersten Arbeitstag erfolgen. Die simple Grundidee: Wer keinen SV- Ausweis vorlegen kann, bezieht möglicherweise eine Sozialleistung oder Krankengeld. „Die Hinterlegung ist wichtig“, Dr. Vial von der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit setzt auf die Karte. Seine Behörde holte im letzten Jahr 164 Millionen Mark an zu Unrecht bezogenen Leistungen in die Kassen zurück, und es soll mehr werden.

Der Berliner Fahnder Achim Ciupka dagegen ist mißtrauisch: „Ich kann mir vorstellen, daß diese Ausweise am Schwarzmarkt gehandelt werden. Der illegale Verleiher wird damit x-beliebige Arbeitskräfte ausstatten.“ Nach seiner Einschätzung ist der SV-Ausweis nicht ausreichend fälschungssicher.

Das millionenschwere Prestigeobjekt aus dem Hause Blüm — allein die Druckkosten werden bei 75 Millionen liegen — macht gegen die Wirtschaftskriminalität keinen rechten Sinn. Beim Kampf gegen den„Mißbrauch von sozialen Leistungen“ dürfte es vor allem den Kleinverdiener an die Geldbörse gehen. Die Sozialdaten landen im Zentralcomputer der Rentenversicherungsträger in Würzburg. Dort werden alle „geringfügig Beschäftigten“ in eine gesonderte Datei übernommen. Durch Abgleich im Rechner kann festgestellt werden, wer möglicherweise mehrere geringfügige Arbeitsverhältnisse eingegangen ist. Dann aber müssen die Ausgesiebten und ihre Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Bislang aber „schaffen es die Krankenversicherungen nicht, die Daten einzugeben“, so Referatsleiter Vial.

Hartmut Friedrich vom Bremer Institut für Informations- und Kommunikationsökologie hält den Ausweis sowieso für diskriminierend: „Die Nichtvorlage des Ausweises bedeutet doch nichts anderes, als daß die Leute bei Kreditinstituten und der Wohnungssuche dokumentieren, daß sie eine Sozialleistung bekommen.“ Für ihn ist der Ausweis auch ein Schritt zum Überwachungsstaat: „Es ist ein Versuch, ein Personenkennzeichen für viele Bereiche in der Bundesrepublik einzuführen.“

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Garstka sieht zwar nicht gleich die „gläsernen Versicherten“ kommen, aber die „grundsätzlichen Bedenken“ gegen die Datensammelei „haben sich nicht erledigt“. Kurz vor der Verabschiedung 1989 wurde noch durchgesetzt, daß die SV-Nummer nicht im Bereich der Renten- und Krankenversicherung verwendet werden darf.

„Sie werden die Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft nicht verbieten können. Der Anreiz, eine Mark zu machen, ist eben sehr groß“, so das Resümee des Fahnders Ciupka.

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