: Mit Schirm, Charme und Fummel
■ Mehr als 10.000 waren beim lesbisch-schwulen Christopher-Street-Day-Karneval in Berlin dabei
Berlin (taz) — Wie der Karneval zu Rio gehört der Christopher Street Day inzwischen zum unabdingbaren Multi-Kulti-Image Berlins. Und der TeilnehmerInnen, GafferInnen und Grußadressen werden es jedes Jahr mehr: Über 10.000 Lesben und Schwule defilierten am Samstag mit und ohne Schirm, Charme und Fummel „selbstbewußt andersrum“ durch die City. Mit dabei war auch Jugendsenator Thomas Krüger (sozialdemokratisch und nicht-schwul), der praktische Schritte forderte, um „die Aufklärung über die Vielfalt der Lebensentwürfe und die Sensibilität ihnen gegenüber voranzutreiben.“ Während „lüsterne, lästige Lesben“ mit „Lieber lesbisch und lebensfroh, als Schulsenator und hetero“ ihre Meinung zum Sexualkundeunterricht an den Berliner Schulen kundtaten. Und selbst Hauptstadt-Bürgermeister Diepgen ließ sich zum ersten Mal erfolgreich bitten, seine „Sympathie“ und Wünsche für ein „gutes Gelingen“ in ein paar nette Worte zu kleiden. Bundesjustizminister Kinkel gab anläßlich des schwul-lesbischen Kampf- und Feiertags kund, er wolle Paragraph 175 endlich aus dem Strafgesetzbuch streichen lassen.
Bei so viel repressiver Toleranz war trotz Hundewetter die Stimmung locker und das Outfit bunt. Tunten und Lederfrauen, Transis, alte Wilde, kesse Väter und noch kessere Bräute waren zwar Blickfang, aber die „Normalen“ überwogen wie immer. Mit Verstärkung aus Paris, Texas, Moskau, San Francisco und Wanne-Eickel demonstrierte die schwul-lesbische Gemeinde für einen halben Tag eine Einheit in der Vielfalt, wie sie die restlichen 364 im Jahr nicht existiert.
Dennoch stärkte es das Selbstbewußtsein, zusammen mit tausend Anderen stolz das „Andersherum“ zur Schau zu stellen. Denn nach dem kürzlichen Überfall auf ein Fest geht auch im schwul-lesbischen Mekka Berlin wieder die Angst um.
Die Angst hat Tradition: Vor 22 Jahren protestierten auf der Christopher Street in New York Schwule und Lesben zum ersten Mal öffentlich gegen tätliche Übergriffe und Schikane der Polizei und Diskriminierung. uhe
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