: Europa will jetzt mehr Druck machen
■ Angesichts des drohenden Bürgerkrieges in Jugoslawien verstärkt die EG ihre Vermittlungsinitiativen/ Auch in anderen Teilen Jugoslawiens wächst die Unruhe
Zu einer erneuten Vermittlungsaktion ist die EG-Troika — die Außenminister der Niederlande, Italiens und Luxemburgs — am Sonntag abend nach Belgrad gereist. Zuvor hatte die Europäische Gemeinschaft die Konfliktparteien in Jugoslawien aufgefordert, sich bis Sonntag, 19.00 Uhr, zu ihren der EG gemachten Zusagen zur Lösung der Krise öffentlich zu bekennen und diese auch auszuführen. Beim ersten Blitzbesuch der Außenminister in Zagreb und Belgrad am Freitag hatte sich Serbien bereit erklärt, der Wahl des Kroaten Mesic zum jugoslawischen Staatsoberhaupt zuzustimmen, und den Rückzug der Armee in die Kasernen angekündigt. Slowenien und Kroatien hatten daraufhin erklärt, sie würden ihre Unabhängigkeitserklärung für drei Monate aussetzen.
Nach Verhandlungen in Ljubljana und Zagreb hat der jugoslawische Regierungschef Ante Markovic für Sonntag abend eine Sondersitzung seines Kabinetts einberufen. Ebenfalls für Sonntag abend wurde außerdem das höchste Sicherheitsorgan des Vielvölkerstaates nach Belgrad geladen.
Angesichts der Zuspitzung der militärischen Auseinandersetzung fordert das Parlament in Ljubljana die Entsendung von EG-Beobachtern. Diese Forderung wird von dem bundesdeutschen Außenminister und dem Präsidenten des Europaparlaments befürwortet. Genscher bekräftigte außerdem, daß die Bundesregierung nach dem EG-Beschluß zur Sperrung der Finanzhilfe an Jugoslawien nicht bereit sei, die Zahlung „auch nur einer einzigen Mark“ zuzulassen.
Der SPD-Vorsitzende Björn Engholm hat die Bundesregierung aufgefordert, die Anerkennung Sloweniens und Kroations in ihre Überlegungen einzuschließen. Alle Zeichen deuteten darauf hin, daß eine zentrale politische Führung des Vielvölkerstaates nicht mehr existiere.
Unstimmigkeiten über die Einleitung des KSZE-Krisenmechanismus zeichnen sich zwischen Bonn und Wien ab. Der österreichische Außenminister Alois Mock hatte bereits am Donnerstag den KSZE-Mechanismus „zur Lösung militärischer Krisen“ in Gang gesetzt, sich später jedoch bereit erklärt, seinen Antrag zugunsten einer EG-Initiative zurückzunehmen. Am Sonntag nachmittag wurde dagegen bekannt, daß mit einem Treffen der hohen Beamten der 35 Mitgliedsstaaten in Wien die zweite Stufe des bereits 1990 beschlossenen Mechanismus beginnen würde. Die Europäische Gemeinschaft rief für Mittwoch eine Dringlichkeitssitzung der KSZE nach Prag ein. Im Unterschied zu der Sitzung in Wien werden dabei nicht nur militärische, sondern politische Aspekte diskutiert werden.
Auch in anderen Teilen Jugoslawiens hat sich am Wochenende die Lage verschärft. Bei nächtlichen Schießereien zwischen Kroaten und Serben kamen im Gebiet der serbischen Minderheit Kroatiens und in Grenzgebieten mindestens elf Menschen ums Leben. Zahlreiche Personen wurden zum Teil schwer verletzt. In vielen Städten, wie im kroatischen Osijek, ließen Gewehrsalven und Explosionen die Bevölkerung in den Nächten nicht zur Ruhe kommen. Tausende von Serben flüchteten sich in das angrenzende Bosnien. Aus Sarajevo wurden erste Hamsterkäufe gemeldet. Gefragt waren vor allem Zucker, Öl, Mehl und Salz.
Durch die Unruhen war der Straßen- und Schienenverkehr in einigen Orten stark beeinträchtigt. Bei Gospic stand wegen einer Bombendrohung in der Nacht zum Sonntag der Zugverkehr still. Am frühen Morgen wurden nicht weit davon entfernt zerstörte Gleise entdeckt. Reisende aus dem Zug Prag-Budapest-Split mußten in Autobusse umsteigen. her
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