: Im Nordosten nichts Neues?
Zwielichtige Umstände haben zur Erteilung der ersten Teilgenehmigung für den Bau eines 500-Megawatt-Steinkohlekraftwerks in Rostock geführt/ Umweltgruppen organisierten Aktionstag ■ Von Hilke Grabow
Rostock. BewohnerInnen des Landes Mecklenburg-Vorpommern verzierten das Rostocker Rathaus am vergangenen Samstag mit abgestorbenen Fichten aus der Rostocker Heide. Bei einem geplanten Kraftwerksbau, so befürchten verschiedene Umwelt- und Bürgerinitiativen — Energiewende Nord e.V., die Evangelische Studentengemeinde, die Grünen, Neues Forum, Grün-Alternative Jugend — werden wohl alle Bäume in der Heide ein gleiches Schicksal erleiden. Was die Initiativen buchstäblich auf die Palme bringt, sind nähere Umstände, die zur ersten Teilgenehmigung für den Bau des 500-Megawatt-Steinkohlekraftwerks (SKW) geführt haben, die an die Kraftwerks- und Netzgesellschaft mbH (KNG) (Hauptaktionär PreußenElektra) ergangen war. Das Amt für Umwelt und Natur, Abteilung Immissionsschutz von Mecklenburg-Vorpommern unter Renate Hückel hatte am 24. Mai 1991 die Genehmigung mit sofortigem Vollzug erteilt.
Zur Erinnerung: Im Frühjahr 1990 reichte die KNG den Antrag auf Genehmigung des SKW ein. Die Rostocker Bürgerschaft stimmte am 3.September 1990 für den Standort Rostock, allerdings mit bestimmten Vorbedingungen. Die wichtigste war eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Das zu projektierende SKW hat eine tägliche Emission von 5.700 Tonnen Kohlendioxid, acht Tonnen Schwefeldioxid und acht Tonnen Stickoxiden.
Nach dem Ausliegen der Antragsunterlagen hatten knapp 2.000 BürgerInnen Einwendungen gegen das Kraftwerksprojekt. Beim gesetzlich vorgeschriebenen Erörterungstermin im Januar 1991 überwogen nach Berichten von TeilnehmerInnen die Argumente gegen den Bau. Zudem wurde bekannt, daß eine Gutachterfirma Mitgesellschafter am Kraftwerk ist und somit nicht unparteiisch sein kann.
Ein anderes Gutachten verstieg sich zur Behauptung, der 140 Meter hohe Kühlturm passe sich „ästhetisch in das Landschaftsbild“ ein. Das Wasserrauschen wirkt „beruhigend auf die Tierwelt“. Und noch eine Peinlichkeit: Die Pflanzenkartierung erfolgte auf Grundlage einer Eurasien-Karte — drei von vier Pflanzen waren falsch. Trotzdem wurde dieselbe Firma mit der Ergänzung des Gutachtens beauftragt.
Das Umweltministerium erachtet UVPs sichtlich nicht für nötig. Auf den Tisch der Rostocker Bürgerschaft kam ein neuerlicher Antrag, nach dem die ehemals vorgeschriebenen Bedingungen fallengelasssen werden sollten.
SPD-Fraktion und OB Klaus Kilimann (SPD) zeigten ein exponiertes Interesse am Bau des SKW. Kilimann meint, eine ablehnende Entscheidung würde schlechte Auswirkungen auf das Investitionsklima in Rostock haben. Außerdem würden 2.000 Arbeitsplätze geschaffen. Zumindest letzteres stimmt nicht. Die KNG hat inzwischen zugegeben, daß in der Bauphase höchstens 600 bis 800, nach Inbetriebnahme rund 180 Stellen vorgesehen sind.
In der Debatte zum SKW hielt der Oberförster der Rostocker Heide ein leidenschaftliches Referat, in dem er das Aus der schon jetzt mit 50 Prozent mittel und schwer geschädigten Küstenwälder voraussagte. Trotzdem stimmte die Bürgerschaft mit knapper Mehrheit durch die Stimmen von SPD, CDU und FDP für das sowohl ökologisch als auch ökonomisch fragwürdige Projekt.
Ein Alternativvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Grüne für die Errichtung eines kleinen, modernen Gas- und Dampf-Turbinen-Kraftwerks (GuD) mit einem wesentlich höheren Wirkungsgrad und 50 Prozent weniger Emission wurde erst gar nicht diskutiert. Dabei würden für ein solches Projekt ab 1992 Bundesmittel zur Verfügung stehen, und es wäre eine sichere Einnahmequelle für die Kommune.
Die wirklichen Gründe für die Jastimmen der Abgeordneten scheinen im Dunkeln zu liegen, zumindest im Dämmerlicht. [Die Menge hat viele Köpfe, aber kein Gehirn, englisches Sprichwort, d.R.] Am Samstag zum Aktionstag kündigte der Bürgermeister des Ostseebades Graal-Müritz eine verwaltungsrechtliche Klage der umliegenden Gemeinden des Landkreises Rostock an. Matthias Raudszus (Energiewende Nord e.V.) klagte das Recht der RostockerInnen auf Realisierung der zur Zeit bestmöglichen Lösung ein. In Lübeck ist aufgrund massiver Widerstände auf ein baugleiches SKW verzichtet worden. Die Stadt entschied sich für die zukunftsorientierte GuD-Technik. Ist für den Osten das Alte gut genug?
Eine Fahrrad-Demo zog zum Baugelände am Rostocker Überseehafen. Dort legten rund 200 Leute feierlich einen Grundstein zum Tod der Rostocker Heide. Auf der eingemauerten Gründungsurkunde stehen die Namen der Persönlichkeiten, die sich um das SKW besonders verdient gemacht hatten.
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