piwik no script img

Lächelnder Wunderheiler

■ Der Altmeister des Blues John Lee Hooker im Tempodrom

Vom ehemaligen stone-washed Super-Ossi über den stoned Biker aus Wedding bis hin zum waschechten OSI-Dozenten waren sie alle gekommen. Das Ticket wird bis zu 150 DM gehandelt. Jeder will John Lee Hooker sehen. Jeder will wie John Lee Hooker aussehen. Man glaubt, eine schwarze Sonnenbrille macht den Blues aus. Für die meisten ist der Blues Mitklatschen, Bier und eine Affenhitze. Das gibt man gleich Walter Wolfman Washington zu verstehen, der sich tapfer durch das Vorprogramm kämpft. Die Che-Guevara-Mütze mag ihm geholfen haben. Mit den Zähnen reißt er die Gitarrensaiten an. Das versteht das Publikum, klar, Jimi Hendrix. Aber ansonsten versteht man nicht viel. Nicht die Reverenz an den texanischen DJ Wolfman Jack, nicht die verschiedenen Töne, die Washington zwischen Memphis und Detroit gehört hat.

Das kann er noch nicht gewesen sein, der Blues. Nächster Versuch. Wie bei Washington schon wieder eine fast ausnahmslos weiße Band. Ein junges Ding in einem raffiniert geschnittenen Kleid, welches in einem karoförmigen Ausschnitt den Bauchnabel freigibt, versucht sich als Blues-Imitatorin. Schon wieder eine Vorband? Nach der zweiten Nummer aber Klarheit: Are there any blues-lovers in the house. Yeah, klatsch, klatsch. The godfather of the blues, the healer. Ein alter, vornehmer Mann schiebt sich auf die Bühne. Leinenhut, Krawatte und ein beiger Sommeranzug ohne Jacke und die Sonnenbrille. Das muß John Lee Hooker sein. Sofort wird dem 73jährigen ein einfacher Stuhl zugeschoben, den er wie einen Thron besteigt. Seine Präsenz ist spürbar, auch wenn er für viele im überfüllten Zelt nicht zu sehen ist. Sein Gestöhne zitiert die Stellen, wo eigentlich Text sein sollte. Dann und wann entlockt er seiner Gitarre wild chaotische Tonsprengsel, die ihn von seiner Coast To Coast Blues Band um Lichtjahre abheben. Boom, boom, boom — endlich erkennt man einen Titel. Die Hand des Wunderheilers vollführt eine Bewegung, als wolle er eine Glühbirne einschrauben. Dabei dreht er sich lächelnd zur Band. Alles klar, Jungs?

Doch hat man das Gefühl, daß er seine Musiker zum ersten Mal sieht. Zu Meisters Linken ein Mini-Clapton, zur Rechten ein etwas zu glatter Blues-Brothers-Epigone. Von Zeit zu Zeit verordnet er ihnen schnell ein Solo. Das junge Ding von vorhin taucht nun genauso schnell wieder auf, wie es verschwunden war. John Lee steht wegen ihr sogar auf. Nicht aus Höflichkeit, sondern um ein Duett anzustimmen, das nach In the mood klingt, und welches das junge Ding kurz wie Bonnie Riatt wirken läßt. Und es ist schon beinahe unglaublich, wie der »Boogie Man« dabei kokett mit seinen Hüften schwingt. Schlagartig wird klar, welch erotische Kraft seine Musik einst ausstrahlte. Die Band ist nicht in der Lage, den exzentrischen Rhythmen von einst zu folgen. Man beschränkt sich auf ein, zwei Standards, die zumindest noch erahnen lassen, was die Musik John Lee Hookers in den Sechzigern für die Stones bewirkt hat. Mit Kußhänden verabschiedet er sich wie ein Charmeur vom Publikum, welches nicht verstehen will, daß man einen alten Mann in Ruhe lassen und von der Widerwärtigkeit eines Revivals verschonen sollte. Josef Pichelmaier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen