INTERVIEW: Der Waffenindustrie ein Gesicht geben
■ Scilla Elworthy, Soziologin an der Universität Oxford, und ihre MitarbeiterInnen veröffentlichen seit sechs Jahren Namen und Biografien der Atomwaffenindustrie
taz: Sie haben eine Liste mit 650 Namen präsentiert, die für die weltweite Atomwaffenindustrie stehen soll. Inwieweit hilft sie beim Kampf gegen diese Waffen?
Scilla Elworthy: Unser Ziel war und ist es, der Atomwaffenindustrie ein Gesicht zu geben und sie greifbar zu machen. Wer bestimmt eigentlich, daß neue Waffen gebaut werden? Wer sind die Wissenschaftler, die Militärs, die strategischen Planer, die Politiker? Ich finde es wahnsinnig, daß unsere Liste, die sich auf alle fünf Länder, die Atomwaffen besitzen, erstreckt, und die wir für ziemlich vollständig halten, 650 Namen umfaßt. 650 Menschen steuern das Schicksal von Milliarden!
Nach Ihrer Liste spielen Politiker eine untergeordnete Rolle.
Gewöhnliche Politiker, das geht bis zur Ministerebene, haben eigentlich keinen Einfluß auf diesen militär-industriellen Komplex. In jedem Land sind es gerade eine Handvoll, die Einfluß haben: von den 650 nicht mehr als fünf Prozent. Die Waffenentwicklung hat sich verselbständigt, am Anfang der Spirale sitzen die Wissenschaftler. Sie wollen ihre Existenz rechtfertigen, etwas Neues erfinden, Grenzen überschreiten.
Ein US-Physiker, der in Los Alamos Atombomben baute und die Seiten wechselte, hat hier in Stockholm von dem Machtgefühl berichtet, daß ihn zeitweise berauschte wie eine Droge.
Ich kann mir vorstellen, daß dies viele Wissenschaftler treibt. Sie haben eine Idee, präsentieren sie den Militärs, die natürlich nicht Nein sagen, wenn dabei eine bessere, wirksamere Waffe herauskommen könnte. Die Waffenindustrie hat auch ihre eindeutigen Interessen. Schon in diesem Stadium hat natürlich die Gegenseite von dem Projekt erfahren. Den Politikern muß nur noch erklärt werden: Wir brauchen die Waffe, sonst hat sie die Gegenseite auch bald. Dann müssen wieder Abwehrwaffen entwickelt werden, und so weiter...
Ist das nicht sehr vereinfacht? Das erinnert mich an die englische TV-Serie, die hier in Schweden unter dem Titel „Jawohl, Herr Minister“ ausgestrahlt wird.
Es läuft tatsächlich auf diesem Niveau ab. Verfolgt man die Waffenentwicklungen, trifft man immer auf das gleiche Muster und dieselben Personen. Der militär-industrielle Komplex hat die wichtigen Politiker voll im Griff. Aber nicht nur sie, auch die Öffentlichkeit und die Presse. Das hat sich im Golfkrieg gezeigt. Die TV—Gesellschaften haben nichts dabei gefunden, zur Illustration der Wirkungen der eingesetzten US-Waffen einfach die von der Waffenindustrie bereitgestellten Werbetrailer abzuspielen. Man stelle sich das einmal bei einem anderen Thema vor! Die beste und noch dazu völlig kostenlose Werbung. Die US-Rüstungsindustrie kann sich jetzt vor Aufträgen nicht retten.
Was machen Sie jetzt mit den 650 Namen?
Unser Ziel ist es, und da stehen wir erst am Anfang, mit so vielen wie möglich Kontakt aufzunehmen, mit ihnen zu reden über das, was sie tun, andere tun. Es ist schwierig, weil zu viel Macht und zu viel Geld eine Rolle spielen. Ich setze dabei auch auf die Frauen. Bei den 650 Namen sind gerade fünf weibliche WissenschaftlerInnen dabei. Frauen stehen dafür, daß Forschung und Entwicklung nicht mehr dem Ziel, besser zu töten, unterworfen werden, sondern zu helfen. Sie sind gegen die undemokratische Struktur des militär-industriellen Komplexes. Sie sind dabei, immer mehr in die wichtigen Positionen aufzurücken. Irgendwann werden sie genug Sand im Getriebe sein.
Das Interwiew führte Reinhard Wolff anläßlich des 10. Weltkongresses der Ärzte gegen den Atomkrieg am vergangenen Wochenende in Stockholm.
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