: Joint-ventures sind kein Zaubermittel für die UdSSR
Die Sowjetunion gilt bei der deutschen Wirtschaft als Markt der Zukunft — doch in der Praxis läßt vieles zu wünschen übrig/ Produktionen lohnen kaum ■ Aus Bonn Joachim Weidemann
Er saß da wie ein Märchenonkel. Und wie ein Märchen klang es auch, was Christian Meier vom Kölner Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien letzte Woche deutschen und sowjetischen JournalistInnen im Bonner Stresemann-Institut zu erzählen wußte: Es war einmal eine russische Kröte mit Namen Ekonomia. Die wollte so gerne von einem deutschen Industriellensohn geküßt werden, um sich hernach in eine wunderschöne Zarenprinzessin zu verwandeln und ihren Industriellen-Gatten reich zu entlohnen.
Die sowjetischen JournalistInnen schenkten einer solchen Mär jedoch kaum Glauben. Sergej Zoj, Pressechef des Moskauer Stadtrats (Mossowjet), würde sich eine deutsch-sowjetische Wirtschaftsehe zwar wünschen, doch er findet die Lage derzeit eher niederschmetternd: Die erhofften Investitionen und die Devisen bleiben aus. Die wenigen Westkonzerne, die sich bislang in der Sowjetunion engagierten, klagen darüber, daß die Sowjets ihren Verpflichtungen nicht nachkämen.
Es gibt ein weiteres Problem für Investoren: Ausländer dürfen keinen Grund und Boden erwerben. Pachten — ja, kaufen — nein. Doch wo Gesetze sind, da gibt es auch Lücken: Der Mossowjet verpachtet Grundstücke auf die Dauer von 99 Jahren. Ein Modell, das Sergej Zoj sich auch in der Landwirtschaft vorstellen kann, um Landpächtern eine — wenn auch winzige — Zukunftsperspektive zu bieten.
Meier geht über die Probleme sorglos hinweg und rührt statt dessen die Werbetrommel für die deutsche Wirtschaft. Sie sei schon seit Breshnjew „ein Wachstumsmotor für die Sowjetwirtschaft“. Sie habe „maßgeschneiderte Lösungen für die Transformation“ der UdSSR. Amerikaner, Engländer und Franzosen hätten dagegen „nicht das nötige Stehvermögen“, dächten nur an das schnelle Geld, an ein „McDonaldizing“ der Strukturen. Die Amerikaner und Japaner hätten zudem die Sowjets bei Verträgen über die Erschließung von Rohstoffen „über's Ohr gehauen“, sagt Meier. Die Westdeutschen dagegen hätten „als erste im Westen“ die Perestroika unterstützt — auch finanziell. So seien in den vergangenen drei Jahren 60 Milliarden Mark in die UdSSR geflossen. Einige unabhängige sowjetische JournalistInnen fragten sich erstaunt, wo das Geld abgeblieben ist.
Meier glaubt, daß sich alle sowjetischen Kernprobleme mit deutscher Hilfe lösen lassen — auch die Energiekrise. Der überhöhte Energieverbrauch der Sowjetbürger stehe einer sinkenden Energie-Rohstofförderung gegenüber. Die Ölbohrtechnologie sei rückständig, die Ölpipelines derart leck, daß „10 bis 15 Prozent des Öls im Boden versickern“. In den Wohnungen werde mangels Thermotechnik Heizenergie zum Fenster hinausgejagt. Auf den Straßen schluckten veraltete Lkws soviel Sprit, daß sie fast von einem Tankwagen begleitet werden müßten.
Es gibt viel zu tun, was die Deutschen gerne anpacken würden — auch in der Landwirtschaft und beim Umbau der Rüstungs- in Konsumgüterindustrie (Konversion). So hat bereits eine deutsche Wirtschaftsdelegation — darunter Vertreter von Siemens, MBB und Daimler Benz — die Hochburg der sowjetischen Rüstungsindustrie, Swerdlowsk, besucht. Der Stadtsowjet wünsche bei der Konversion durchaus die Zusammenarbeit mit den Deutschen, sagt Meier. Die Kooperation scheiterte bisher jedoch am Widerstand konservativer Kreise: des KGB, des Militärs und der kommunistischen Betonschiks in der Verwaltung.
Neben dem Technologie-Transfer geht es Meier um die Lieferung von „Humankapital“ aus dem Westen. Also deutsche Manager an die Spitze sowjetischer Konzerne? Dem gibt Zoj keine Chance: „Die Manager, die versuchen, diese Unternehmen im westlichen Stil zu führen, kommen nicht weit. Sie kennen unsere Strukturen nicht und wissen nicht mal, wo sie sich Rohstoffe besorgen könnten.“
Meier gesteht zwar ein, daß es „riesige Probleme“ in der Sowjetwirtschaft gibt, spielt sie jedoch fast zu Lappalien herunter. Dabei müssten diese „Bagatellen“ Westindustrielle das Gruseln lehren. So standen 1990 bei deutschen Unternehmen Rechnungen in Höhe von drei Milliarden Mark offen. Dazu kommt der fortwährende „Krieg der Gesetze“ zwischen Zentrum und Republiken und sogar zwischen einzelnen Regionen. Was die eine Instanz erlaubt, wird von der nächsten verboten. So etwas schadet, wie Meier einräumt, dem „internationalen Image“ der UdSSR. Das Land ist auf der internationalen Liste der Kreditwürdigkeit in den letzten drei Jahren von Platz 18 auf Platz 44 zurückgefallen. So ist es bezeichnend, daß zwei Drittel der knapp 3.000 Joint-ventures im Dienstleistungsbereich liegen. In den kapitalintensiveren Produktionssektoren — Industrie und Landwirtschaft — sieht es dagegen düster aus. Meier warnte die sowjetischen Journalisten davor, Joint ventures als „Zaubermittel“ gegen die Wirtschaftskrise zu sehen. Sie seien vielmehr „die höchste Form der Zusammenarbeit“. Um diese Stufe zu erreichen, müßten jedoch „einwandfreie rechtliche Voraussetzungen“ vorliegen und „das wirtschaftliche Umfeld stimmen“. Dazu gehöre der Abschluß des Unionsvertrags. Sollten die Baltikum-Staaten dem Vertrag nicht beitreten, was wahrscheinlich ist, müßte Moskau mit ihnen gesondert verhandeln, um das Miteinander zu regeln. Darüber hinaus sind einschneidende Wirtschaftsreformen notwendig, damit der Westen der UdSSR die „marktwirtschaftliche Grundausstattung liefern und funktionsfähige Strukturen aufbauen“ kann, sagte Meier. Mühe und Geduld erscheinen ihm jedoch lohnend: „Das ist ein riesiger Markt, der völlig ungesättigt ist und wo sich alles verkaufen läßt.“ Einfach märchenhaft eben.
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