WAS IST SCHON GELD?
: Fragen zur „Natürlichen Wirtschaftsordnung“ Gesells

■ Antworten auf einen Leserbrief aus Meiningen/ Überhöhte Unternehmerlöhne/ Tarifverträge/ Wachstumszwang/ Gesellsche Reform nur von „oben“ möglich?

Berlin. Lieber Radi K. Lopsky, vielen Dank für Deinen Brief zu meinem Artikel Was ist schon Geld! in der Ost- taz vom 12. und 14.6. Hier noch einmal Deine Fragen und jeweils anschließend meine Antworten:

Was hältst Du von grundsätzlich möglichen „überhöhten Unternehmerlöhnen“ bei herkömmlichen Privat- und Staatsbetrieben?

„Grundsätzlich“ sind „überhöhte Unternehmerlöhne“ eben nicht möglich, denn Lohn resultiert aus Leistung. Besondere, leistungslose Gewinne der Unternehmer in Privatbetrieben sind Gewinne aus dem Eigentum an Liquidität (Geldschätzen), Kapital und Boden, aus Monopolen, aus staatlichen Vergünstigungen usw. Soweit ein Unternehmer Zinsen, Renditen und Renten bezieht, ist er Kapitalist und Grundrentner, soweit er sie aus Monopolen bezieht, Monopolist. Besondere Einkommen der Manager in Staatsbetrieben resultieren aus politisch bedingten Privilegien.

Sind Tarifverträge wirtschaftliche oder politische Verträge; wie stehst Du zum Prinzip der Entlohnung nach Leistung?

Ein vom Staat verordneter Lohn-Preis-Stopp zum Beispiel ist zweifelsohne eine politische Festsetzung des Lohnes und der Warenpreise, aber kein Vertrag zwischen Tarifpartnern und Produzenten und Konsumenten. Sie ist eine politische Zwangsmaßnahme von dritter Seite her und soll der Bekämpfung einer Inflation dienen, eine völlig deplazierte Maßnahme, da Inflation nicht aus überhöhten Löhnen und willkürlichen Preisforderungen, sondern aus dem Auseinanderklaffen von Warenproduktion und Geldschöpfung entsteht.

In der kapitalistischen Marktwirtschaft sind die in Tarifverträgen festgelegten Arbeitseinkommen mehr oder weniger das Ergebnis wirtschaftlicher Machtkämpfe, die zwischen selbständigen „Arbeitern“, den Unternehmern und den Lohnarbeitern ausgetragen werden. Die arbeitsfreien Einkommen der Kapitalisten, Grundrentner, Monopolisten und staatlich Privilegierten bleiben davon weitgehend unberührt. Die ausgehandelten Löhne sind also nie leistungsgerecht. Erst wenn der „Mehrwert“, die Geld-, Kapital- und Bodenzinsen, die Monopolgewinne usw. zugunsten der Produzenten — der Arbeiter- und Unternehmerlöhne — umverteilt werden, kommen leistungsgerechte Löhne zustande. Überhöhte wie auch zu niedrige Löhne werden in einer wirklich freien Marktwirtschaft ohne Arbeitslosigkeit schnell an die übrigen Löhne entsprechend ihrer Leistung angeglichen. Bezogen auf den Unternehmer formuliert Marx das so: „...das Gehalt des Dirigenten (des Arbeitsprozesses; R. K. L.) ist... bloßer Arbeitslohn einer gewissen Art geschickter Arbeit (Unternehmerarbeit; R. K. L.), deren Preis am Arbeitsmarkt reguliert wird, wie der jeder anderen Arbeit“ (Das Kapital, Bd. III, S. 452).

Dieses Einkommen aus Arbeit darf nur zugunsten legitimer öffentlicher Aufgaben, insbesondere für die Versorgung von Kindern, Alten, Invaliden und Kranken reduziert werden. Es muß eine Synthese von leistungs- und sozialgerechtem Lohn gefunden werden. „Tauschgerechtigkeit“ (Proudhon) und soziale Gerechtigkeit sind aber nur möglich, wenn das Parasitentum der Kapitalisten und Grundrentner, die jährlich Hunderte von Milliarden in ihre eigene Tasche schaufeln, verschwindet.

Vom „garantierten Mindesteinkommen“ für alle, wie es von den Ökoliberalen konzipiert worden ist, halte ich nichts. Sie wollen es aus den eh schon durch Mehrwert, Steuern usw. reduzierten Arbeitseinkommen der Produzenten abzweigen, eine weitere Determinante für sozial- und leistungsgerechte Einkommensverteilung. C. H. Douglas wollte seine „Volksdividende“ immerhin aus dem Mehrwert finanzieren.

Kannst Du zeigen, daß allein durch die Geld-Boden- Reform (Gesells; R. K. L.) der Wachstumszwang in der Wirtschaft und die Monopolisierungstendenz der Produktionsmittel verschwinden?

Kann ich nicht! Der Boden hat wenig mit Wachstumszwängen zu tun, wohl aber einiges mit Kapitalkonzentration. Die Ölscheichs zum Beispiel legen ihre riesigen Bodenrenten — Gewinne aus der oligopolistischen Stellung der Ölquellen in der Weltwirtschaft — in Aktien der Industrie an, wodurch sich langfristig große Teile des Industriekapitals in ihren Händen konzentrieren werden.

Wichtiger noch ist die geldbedingte Zinseszinsakkumulation. Wenn es einem Geldanleger gelingt, seine Zinsen wieder gegen Zins anzulegen, dann wächst sein Vermögen nach der Exponentialformel, wie ich bereits in meinem Geld-Artikel dargestellt habe: Bei einem Zinssatz von fünf Prozent verdoppelt sich sein Vermögen alle 14 Jahre. Vor allem auf diese Weise konzentriert sich das Volksvermögen — Produktionsmittel, Grundstücke usw. — in den Händen einiger weniger superreicher Familien.

Voraussetzung hierfür ist Wirtschaftswachstum, denn nur eine wachsende Wirtschaft bietet zusätzliche Anlagemöglichkeiten für Geldvermögen, die sich durch Zinseinnahmen ansammeln. Da die großen Zinsbezieher, wie ich am Beispiel Helmut Hortens aufgezeigt habe, ihre zig Millionen von Zinsgeldern im Jahr nicht für den Konsum ausgeben können und wollen, suchen sie immer neue Investitionsmöglichkeiten. Sind sie nicht zu finden, setzen sie ihre Lobbyisten in den Parlamenten auf die Regierungen an, um diese zu veranlassen, durch Staatsinvestitionen und entsprechende Wirtschaftspolitik Voraussetzungen für zusätzliche Investitionsmöglichkeiten zu schaffen, rentable, versteht sich. Mit dem Verschwinden des Geldzinses würden jedoch die Geldschätze der Finanzkapitalisten nicht mehr wachsen und schließlich schrumpfen und die Kapitalkonzentration, die durch die Zinseszinsakkumulation bedingt ist, aufhören und damit die wirtschaftliche und politische Macht des Finanzkapitals und ihr Druck auf die Politiker zurückgehen.

Militärdiktaturen und der „reale Sozialismus“ zeigten jedoch, daß auch unabhängig von der Macht und dem Willen der Finanzkapitalisten tödliche Wachstumspolitik betrieben werden kann. Dann also, wenn eine politische Zentralmacht selbstherrlich regieren und ihre Wachstumsideologie (Industrialisierung der „Entwicklungsländer“, „Aufbau des Sozialismus“) mit physischer Gewalt gegen Produzenten und Konsumenten durchsetzen kann. In den kapitalistischen Massendemokratien bleibt jedoch der Geld- und Bodenzins eine wichtige ökonomische Ursache für Wirtschaftswachstum und Kapitalkonzentration.

Hältst Du die „Gesellsche Reform“ ihrem Inhalt nach für nur „von oben“ machbar?

Das ist schon denkbar, aber kaum zu erwarten. Die Gesellsche Geldreform ist in Ansätzen in Eigeninitiativen von Bürgern immer wieder und weltweit in Angriff genommen worden, in Deutschland (Schwanenkirchen) und Österreich (Wörgl) jedoch „von oben“ verboten worden. Die „Basis“ muß sich mit der Notwendigkeit und den Möglichkeiten einer Geld-, Kredit- und Bodenreform auseinandersetzen und sie „von unten“ und „massenhaft“ durchsetzen. Die Herrschenden „da oben“ sind nicht an ihr interessiert; sie würden sich den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Wenn Du mehr über diese libertäre Theorie und ihre praktischen Versuche erfahren willst, solltest Du die Texte von Silvio Gesell, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Arthur Mülberger, Alex von Muralt, Günter Bartsch und Klaus Schmitt (Hg.) lesen, die in dem 1988 im Karin Kramer Verlag in Berlin erschienenen Buch Silvio Gesell — „Marx“ der Anarchisten? veröffentlicht worden sind. Ein guter Einstieg in das Konzept einer „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und patriarchalisches Bodenunrecht“!

Mit libertären Grüßen! Radi K. Linsky