piwik no script img

Die schiefen Türme von Weißenhorn

■ Kamine der 160 Millionen Mark teuren Müllverbrennungsanlage liegen schon vor Inbetriebahme schief

Weißenhorn (Kreis Neu-Ulm) — „Die Müllverbrennungsanlage Weißenhorn steht nicht nur juristisch sondern auch tatsächlich auf sehr wackligen Beinen.“ Mit dieser Nachricht wartete am Dienstagnachmittag Erika Barwig, Vorstandsmitglied der Bürgeraktion „Das Bessere Müllkonzept“, auf. „Wir haben festgestellt, daß sich die Kamine der Müllverbrennungsanlage stark geneigt haben. Es sind zwei Kamine, die mit einer Spange verbunden sind und die sich sogar unterschiedlich stark geneigt haben; einer hat sich um 20,6 Zentimeter, der andere um 22 Zentimeter verschoben. Das ist eine Neigung um knapp 15 Prozent und das heißt, die Müllverbrennungsanlage ist instabil.“

Erika Barwig, der Rechtsanwalt der Bürgeraktion, Wolfgang Baumann, und der Nürnberger Geologe Otto Heimbucher befürchten bei einer Inbetriebnahme Schlimmes für die Bevölkerung. „Für die Umgebung würde dies bedeuten, daß durch die Schräglage der Kamine die Gase wieder schneller auf die Erde zurückkommen und die Belastung im Umfeld der Anlage daher höher ist“, sagt der Geologe, der den Untergrund als ausgesprochen setzungsempfindlich bezeichnet. Es sei gefährlich, wenn ein technisch hochsensibles Gebilde wie eine Müllverbrennungsanlage schon vor der Inbetriebnahme sich so stark absenken würde.

Für den Neu-Ulmer Franz Josef Schick ist das alles kein Grund, über die Aufnahme des Probetriebs nachzudenken. Er ließ verlauten, daß zu keinem Zeitpunkt die notwendige Sorgfalt vernachlässigt wurde. Welche Auswirkung eine Neigung der Schornsteine habe, wisse er zur Zeit nicht.

Regierung veranlaßt Prüfung

Schwere Vorwürfe gegen den Landrat erheben die Gegner der Weißenhorner Verbrennungsanlage, an der sich ja der bayerische Müll-Widerstand erst so richtig entzündet hat. Der nötige Bodenaustausch, bei dem 40.000 Kubikmeter Kies aufgeschüttet wurden, sei beim Erörterungstermin verschwiegen worden, kritisiert Erika Barwig. Überhaupt sei die Anlage ohne die erforderliche Sicherheitsanalyse gebaut worden.

Auch der Rechtsanwalt der Bürgeraktion „Das Bessere Müllkonzept“, Wolfgang Baumann, übt heftige Kritik am Vorgehen der Fachbehörden. Er sieht in der Anlage eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und fordert die Regierung von Schwaben auf, eine Inbetriebnahme zu unterbinden.

Bei der Regierung von Schwaben gibt man sich gelassen. Der zuständige Abfallreferent, Regierungsdirektor Jörg Schröder, zweifelt die Messungen an. Eine so starke Schieflage, wie sie angeblich gemessen wurde, sei absolut unvorstellbar. Man würde dem aber trotzdem nachgehen. Sollte es jedoch tatsächlich stimmen, was „hier an Meßergebnissen verkündet wird, dann hätte ich tatsächlich Zweifel, was die Inbetriebnahme angeht“, sagt Jörg Schröder.

Geologe Otto Heimbucher untermauert seine Messungen mit denen eines gerichtlich anerkannten Sachverständigen für das Vermessungswesen. Der vereidigte Illertisser Sachverständige Holzhausen sei zu den selben Meßergebnissen wie sein Institut gekommen. „Das heißt, wir haben es hier mit einer nachweisbaren dauerhaften Absenkung zu tun.“ Von der Stadt Weißenhorn seien im übrigen Vermessungssteine an den Meßpunkten gesetzt worden, damit die Ergebnisse genau überprüft werden können.

Derzeit läuft bei der neuen Verbrennungsanlage, die technisch bereits wieder als Altanlage eingestuft werden muß, die sogenannte Warminbetriebnahme, bei der Kessel und Amaturen überprüft werden sollen. Für Anfang August ist dann der reguläre Probebetrieb geplant. Genau diesen will jedoch die Bürgeraktion mit allen Mitteln verhindern, wie Rechtsanwalt Wolfgang Baumann ankündigte, notfalls mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht auf einen Baustopp.

Ein zusätzlicher Streit bahnt sich am Rande der ganzen Auseinandersetzung an. Rechtsanwalt Wolfgang Baumann hatte nach eigenen Angaben für Dienstagvormittag bei der Regierung von Schwaben einen Termin auf Akteneinsicht beantragt, der ihm zunächst auch zugesagt worden sei. „Als dann jedoch ruchbar geworden ist, daß es um die extreme Schieflage der Kamine geht, ist die Akteneinsicht verweigert worden.“ Regierungsdirektor Jörg Schröder bezeichnet dies als „pure Lüge“. Baumann habe keinen Termin bekommen. Er hätte zwar tags zuvor bei einem Kollegen von ihm angerufen, wegen der Kürze der Zeit habe jedoch kein Termin vereinbart werden können. Klaus Wittmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen