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Jugend„schutz“ statt des Paragraphen 175

Bonn (taz) — Die FDP hat die Forderung ihres Justizministers Klaus Kinkel nach Streichung des Schwulenparagraphen 175 StGB präzisiert. Danach soll es für männliche und weibliche Jugendliche ein einheitliches „Schutzalter“ von 16 Jahren geben. Die Regelung solle alle sexuellen Handlungen von „einiger Erheblichkeit“ umfassen, „unabhängig davon welches Geschlecht Täter und Opfer haben“. Sie solle mit einem ausschließlichen Antragsrecht der Erziehungsberechtigten versehen sein, erklärte der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen. Bislang konnte beim „Jugendschutz“ staatlicherseits per „Offizialdelikt“ eingeschritten werden. Nun jedoch müßten die Eltern entscheiden können, so van Essen, ob sie „ihr Kind den zahlreichen Unannehmlichkeiten und psychischen Belastungen eines Strafverfahrens aussetzen“ wollten.

Die Strafverfolgung solle zukünftig „ausschließlich auf den Mißbrauch abgestellt sein“, der jugendliche Opfer als „bloße Objekte benutze“. Alle „echten Liebesbeziehungen“ sollen laut FDP-Vorstellungen außen vor bleiben, ebenso wie der falsche und antiquierte Begriff von der „Verführung“ (zur Homosexualität). Die Strafbarkeit, so der FDP-Mann, solle auf Fälle begrenzt werden, bei denen die „Unreife und Unerfahrenheit“ von Jugendlichen ausgenützt wird — eine Formulierung, die sich am Recht der Ex-DDR orientiert, das letztlich dafür sorgte, daß die Abschaffung des 175ers in Westdeutschland möglich wird. Die Sondergesetzgebung gegen Schwule war im der DDR in zwei Schritten 1968 und 1988 abgeschafft worden. Auch nach der Vereinigung Deutschlands stehen im Westteil auf sexuellen Verkehr zwischen einem Mann über 18 Jahren und einem unter 18 bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Die stellvertrende SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende, Herta Däubler-Gmelin, begrüßte den FDP-Vorschlag. Allerdings sprach Gmelin in ihrer Erklärung erneut vom „Schutz vor sexueller Verführung“. Eine „ersatzlose Streichung“ des 175ers forderte Heide Rühle, Geschäftsführerin beim Bundesvorstand der Grünen. Neue Straftatbestände zu etablieren sei nicht notwendig, weil der Schutz von Kindern (§ 176) und Abhängigen (§ 174) bereits gesetzlich geregelt sei. Auch der Schwulenverband in Deutschland (SVD) fordert die ersatzlose Streichung. Den neuen Jugendschutz sieht der SVD als unbegründet und zu weitgehend an: „Kriminalisierung von Jugendsexualität.“ Der Sprecher der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Fraktion, Roger Kusch, erklärte, daß „noch nichts endgültiges“ zum FDP-Vorschlag gesagt werden könne. Die Meinung der Fraktion sei „nicht festgefügt“, der Kinkel-Vorstoß spiegele nicht viel mehr wider, als die Beschlußlage der Koalition. kotte

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