: Quartett für Solisten
■ »Fall in Jazz '91 — Summer Music«
Eine Situation wie aus dem richtigen Leben gegriffen: Treffen sich vier Leute, wollen sich was erzählen. Reden aber alle gleichzeitig. Gibt's Streit? Brüllt einer die anderen nieder? Hält einer schmollend die Klappe? Nein? Dann kann's nicht wie im richtigen Leben sein. Vielleicht spielt ja gerade ein Quartett.
»Wenn sich vier Schwarze auf der Straße unterhalten, ist das Musik«, sagte einmal ein Musiker, der gerade in New York weilte. Das läßt sich auch umdrehen und heißt dann: Wenn vier Musiker zusammenspielen, ist das eine Unterhaltung.
Sollte Musik tatsächlich eine universale Sprache sein, die überall auf der Welt verstanden wird (eines der liebenswürdigsten Klischees überhaupt), hat sie am Samstag und Sonntag Gelegenheit sich zu bewähren. Dann nämlich treffen aufeinander: Sainkho Namchalak (UdSSR), Butch Morris (USA), Peter Kowald (BRD) und Werner Lüdi (CH). Sie sprechen ein Idiom, das Free-Music heißt. Und das ist ja bekanntermaßen nicht so global verbreitet, daß es jedem Ohr geläufig wäre. Die Veranstalter, die Free Music Production, helfen daher zum Kennenlernen mal wieder mit einem konzeptionellen Trick nach.
Neben dem Zusammenspiel im Quartett hat jeder der Musiker Gelegenheit sich als Solist zu featuren. Solospiel, also einer allein gegen das Publikum, ist eine Herausforderung der besonderen Art. Bei Instrumenten wie dem Klavier ist das etwas weniger spektakulär, hier ist ja jeder Finger bereits Solist (wenn der Pianist das Zehnfingersystem beherrscht), aber eine einzelne Stimme ist ziemlich einsam in der Welt, kein Instrument ist exponierter, jeder Ton kommt aus dem Innersten (buchstäblich!). Da läßt sich gleich pathetisch noch eins draufsetzen: Jeder Ton ist ein psychisches Protokoll, eine Nachricht der Seele, daher so ein Stimmakt gelegentlich auch leicht peinlich anrühren kann.
Frau Namchalak ist bereits in jungen Jahren mit Schamanengesang in Berührung gekommen und hat sich so exotische Techniken wie das »Throat-Singing« angeeignet. Ihrem Selbstverständnis nach ist sie Folksängerin, die mit den erweiterten Mitteln der Free-Music ihre Stimme zu Gehör bringt.
Lawrence D. »Butch« Morris vertraut der sanften und blechernen Stimme seines Kornetts (eine Mischung aus Trompete und Flügelhorn — nicht so voluminös wie dieses, nicht so hart glänzend wie jenes). Durch mannigfaltige Kompositionen für Film und Theater, durch seinen täglichen Umgang mit den verschiedensten Musikern und Stilen hat er sich ein musikalisches Vokabular erspielt, mit dem sich trefflich erzählen läßt. Zu seinen special effects gehört die Verwandlung des Kornetts mittels zweier Mikrophone zu einem kompletten Schlagzeug. Äußerst hörenswert.
Werner Lüdi, ebenfalls Blech (das von der näselnden Sorte: Alt-Saxophon), gehört zu den Mitentdeckern und -entwicklern dieser eigenartigen Musik der unreglementierten Töne. Schon seit Anfang der 60er dabei, hat er in unterschiedlichsten Gruppen vielerlei Dialekte durchprobiert. Überhaupt hat die Schweiz eine ganz eigene Free-Jazz- Szene hervorgebracht, vielleicht ist hier diese Musik noch Ausdruck des Aufbegehrens gegen beengte Verhältnisse und gnadenlos langweilende Lebensformen.
Das rauhe und dennoch zurückhaltende Timbre des Kontrabass', füllig und leise zugleich, wird von Peter Kowald hervorgelockt. Dieses Instrument geht im Zusammenspiel immer zuerst unter, wenn nicht der empfindlichste Klangerzeuger zum Maßstab der Klangbalance genommen wird. Daran zeigt sich immer wieder, wie gut eine Band aufeinander eingespielt ist, wie hoch das Niveau der musikalischen Intelligenz angesetzt werden kann.
Jeder Musiker eine eigene Stimme, einen eigenen Stil, eine eigene Sprache. Dann alle zusammen. Ob es zu einer babylonischen Sprachverwirrung kommt oder zum freien Spiel ohne Worte? fh
Am Samstag und Sonntag, jeweils 18 Uhr im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 1-37. Genaue Besetzungen siehe Termine!
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