: Bedingungen für Rebellen
Am 12. Mai 1962 meldete die Frankenpost in Hof/Bayern unter der Überschrift Junge Hitzköpfe als Gotteslästerer — Vier Mitglieder einer Künstlergruppe vor Gericht / Obszöne Veröffentlichungen in eigener Zeitschrift / Durch Flugblatt Staatsanwaltschaft beleidigt / Urteil: fünf Monate wegen Religionsbeschimpfung. Letztlich verurteilt wurde Dieter Kunzelmann — nach Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde — wegen seines ersten Gedichts (das zweite befindet sich auf dieser Seite) aber erst 1975 vom Bayerischen Oberlandesgericht: zur Zahlung von DM 100.
In dem Artikel von 1962 hieß es: Vor dem Münchener Amtsgericht standen dieser Tage vier junge Angeklagte, die sich wegen Gotteslästerung, Verbreitung unzüchtiger Schriften und Religionsbeleidigung verantworten mußten. Sie gehörten allesamt einer losen Künstlergruppe an, die sich als Situationisten bezeichneten.
Einem Italiener war ein Exemplar der Zeitschrift 'Spur‘ zum Kauf angeboten worden. Was der Ausländer darin zu lesen bekam, empörte ihn so sehr, daß er sofort am andern Tag Anzeige erstattete. Bald zog das erzbischöfliche Ordinariat zu München und Freising nach. Es war die Nummer 6 und nannte sich 'Spur im Exil‘. Nachdem sich der Staatsanwalt mit dem Inhalt genau vertraut gemacht hatte, kam er zu der Überzeugung, daß in den dort veröffentlichten Ausführungen nicht nur stark nihilistisch-anarchistische Tendenzen dargelegt wurden, sondern auch grobe Unzüchtigkeiten vorkamen. Draufhin wurde Strafanzeige gegen die vier Mitglieder der Künstlervereinigung erstattet.
Die Künstlergruppe konterte mit einem Flugblatt, in dem der Justiz mangelndes Kunstverständnis vorgeworfen und die Beschlagnahme eine herausfordernde Frechheit genannt wurde. In der Verhandlung benahmen sich die Angeklagten ziemlich herausfordernd. Die trugen alle Existenzialistenbärte und fühlen sich ihrer Sache recht sicher. Für den Richter ist es nicht ganz einfach, sich in die Denkungsweise dieser jungen Menschen zu versetzen, die der Staatsanwalt als noch »völlig unausgegorene Hitzköpfe« bezeichnete, die offensichtlich nur die Absicht hatten zu provozieren. Bei den Angeklagten handelte es sich um den Schriftsteller Dieter Kunzelmman, den Graphiker Kurt Prem, sowie die Maler Erich Zimmer und Peter Gürtler. Als der Vorsitzende wissen will, was die Angeklagten eigentlich unter Situationisten verstehen, erhält er die Antwort: »Wir verkörpern eine Haltung gegenüber dem Dasein, die in spielerischen Experimenten das Unerwartete erwartet.« Der Richter gibt es daraufhin auf, sich weiter um eine genauerer Definition zu bemühen. Im Heft wimmelte es von Zusammenstellungen wie Inzest und Hostie, von Sakrament und Korpophagie. Einer der Autoren hatte den Gegensatz zwischen Texten aus der Meßliturgie und frivolen Unanständigkeiten besonders reizvoll gefunden und in einem »Brief eines Zurückgebliebenen« die Wendung gebraucht »Auch Ministerpräsidenten stinken unter den Achseln.« Der Staatsanwalt weist darauf hin, daß dieses Zitat noch eines der harmlosesten sei. In seinem Plädoyer wies er darauf hin, daß die jungen Menschen gewisse Ideale verfolgen mögen und wohl auch Künstler seien. Dennoch verlangt er entsprechende Bestrafung und erinnert daran, daß in einem der 'Spur‘-Hefte der Satz steht: »Die Bedingungen von Rebellen sind heute strenger denn je zuvor.«'Frankenpost‘, 12. Mai 1962
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