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Algeriens Zukunft gehört den Militärs

Die Islamisten sind stark geschwächt/ Auch in der einstigen Staatspartei FLN kämpfen mehrere Strömungen gegeneinander  ■ Von Dominic Johnson

Algiers Frisöre haben Hochkonjunktur. Die Bärte, die sich viele Algerier während der großen Zeiten der „Islamischen Heilsfront“ (FIS) als Zeichen ihrer Religiosität haben wachsen lassen, fallen den Rasiermessern zum Opfer — ein Zeichen mehr, daß die Islamisten gegenwärtig auf dem absteigenden Ast sind.

Das heutige Freitagsgebet wird zeigen, ob die FIS nach den Ereignissen dieser Woche überhaupt noch handlungs- und mobilisierungsfähig ist. Jeden Freitag erschallen in mehreren Vierteln der algerischen Hauptstadt die Predigten der FIS- Führung über die Dächer, hinausgetragen von den Lautsprechern der Moscheen. Diesmal könnte jedoch Stille herrschen in Belcourt, Kouba und Bab El-Oued. In Belcourt hat das Militär zwei wichtige Moscheen geschlossen, und noch ist unklar, ob sie heute wieder offen stehen. Die Führer der Islamischen Heilsfront, Abassi Madani und Ali Belhadsch, werden nicht, wie gewohnt, in Kouba und Bab El-Oued die neue politische Generallinie verkünden. Sie sitzen im Gefängnis und warten auf ihren Prozeß.

Der Großteil der mittleren Leitungsebene der „Islamischen Heilsfront“ soll mittlerweile festgenommen worden sein — mehrere tausend Aktivisten. Täglich gehen die Verhaftungen weiter: 172 allein am Mittwoch. In manchen FIS-regierten Gemeinden sind die Rathäuser geschlossen. Diejenigen Mitglieder der FIS-Führung, die sich noch in Freiheit befinden, schweigen. Haben sie Angst, ebenfalls ins Gefängnis zu geraten? Oder sind sie insgeheim froh, daß sie den radikalen Flügel ihrer Partei los sind?

Daß der Staat die Spaltung der FIS und die Installierung einer genehmen, zahnlosen Leitung betreibt, gilt als ausgemacht. Eine Vielzahl kleinerer Gruppen, die jede für sich keine ernsthafte Gefahr für den Staat darstellt: dies könnte die Zukunft des algerischen Islamismus sein.

Doch nicht nur die FIS ist vom Zerfall betroffen. Wer meint, durch die harte Linie des Staates würde die einstige Befreiungsbewegung und langjährige Staatspartei „Nationale Befreiungsfront“ (FLN) wieder gestärkt, der irrt sich. Die FLN ist dabei, aus der algerischen Staatsmacht verdrängt zu werden.

In der FLN wuchert der Spaltpilz. Der Machtkampf zwischen verschiedenen „Strömungen“ ist zwar so alt wie die FLN selbst. Doch seitdem die letzte FLN-Regierung unter Premierminister Mouloud Hamrouche Anfang Juni zurücktrat und der neue Premierminister Sid Ahmed Ghozali sich nach parteilosen Ministern umsah, haben die rivalisierenden Parteiflügel ihren gemeinsamen Nenner, den Machterhalt, verloren. Heute sitzt die FLN teils in der Regierung — sie stellt etwa zehn der dreißig Minister im Kabinett Ghozali — und teils in der Opposition.

Das algerische Parlament, das zu 100 Prozent aus FLN-Abgeordneten besteht, spielt inzwischen politisch keine Rolle mehr. Präsident Chadli gab in der vergangenen Woche seinen Rückzug aus der FLN-Führung bekannt und sagte zugleich, er wolle von nun an „Präsident aller Algerier“ sein — eine Spitzenposition in der FLN gilt im heutigen Algerien als Belastung.

Jüngere FLN-Kader, darunter viele Parlamentsabgeordnete, fordern einen Sonderkongreß der Partei, um die alte Führung aus den Zeiten des Einparteienstaates abzuwählen. Doch FLN-Generalsekretär Mehri hat unmißverständlich erklärt, einen solchen Kongreß werde es erst nach den Parlamentswahlen geben. Und wann diese stattfinden, steht nach der jüngsten Erklärung von Premierminister Ghozali in den Sternen — dieses Jahr wird es damit jedenfalls nichts mehr.

So ist die Bipolarität zwischen FLN und FIS vorerst beendet. Beide großen Parteien sind dabei, sich in eine Vielzahl rivalisierender Clans aufzulösen. Die übrigen Parteien — insgesamt über 30 — sind allesamt zu klein, um eine wichtige Rolle in der algerischen Politik zu spielen. Gehört Algeriens Zukunft nun den Obristen?

Je länger der Ausnahmezustand in Algerien andauert und je weniger sich die parteiunabhängige Regierung Ghozali von den Militärs absetzt, desto mehr festigt sich der Eindruck, daß es in Algerien einen schleichenden Militärputsch gegeben hat, der aber sein Gesicht nicht offen zeigt.

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