: Kanzler Kohl: Konversation auf der Kuhweide
In der Oberlausitz zeigte der Bonner Staatssekretär Haschke seinem Chef, wo er mal gearbeitet hat/ Die Bauern rechneten viele gute Taten ab und erbaten sich etwas mehr Rückenwind/ Privatisierung ist für Bauern kaum finanzierbar ■ Aus Großhennersdorf D. Krell
Schulfrei in Großhennersdorf. Die Kinder schubsen sich am Weiderand, einige schwenken CDU-Fähnchen. Aufgeregt schauen die Großhennersdorfer zum Himmel. Der Kanzler hat sich angesagt, und Gottfried Haschke ist schon da. Aus Bonn kam der parlamentarische Staatssekretär zurück ins Dorf. Er will seinem Chef zeigen, was die Haschke- Söhne für prächtige Höfe aufbauen, als private „Wiedereinrichter“ — und wo es nun mit der neuen Genossenschaft langgeht.
Ingrid Palme sieht die Zukunft des Dorfes skeptisch. Die Haschkes werden es als private Landwirte schon schaffen; aber die anderen, die sich selbständig gemacht haben? Wo früher 500 bei der LPG Berthelsdorf beschäftigt waren, sind gerade mal noch noch 200 in Lohn und Brot. Und nur sieben haben es gewagt, eine eigene Wirtschaft aufzubauen.
Gottfried Haschke war Produktionsleiter der LPG, bevor er mit CDU-Mandat nach Bonn ging. Nun bauen seine Söhne drei neue Höfe auf. „Was hat er denn geleistet? Immer nur zu seinem Vorteil!“, schimpft eine Bäuerin, und ihr Mann setzt dazu: „Mit dem Rückenwind aus Bonn mag's für Haschkes gehen. Privilegierte gabs ja immer.“ Die zum Kanzlerbesuch angereisten Journalisten sollen nur mal hinsehen, wie die „anderen, kleinen Privaten in ihrem Lande stochern“. Man müßte sein ganzes Vermögen hineinstecken — für die Technik und um Kredite abzuzahlen. „Und es gibt zuwenig für die Produkte, kein Absatz.“ In Löbau, Zittau und Eibau sind die Molkereien schon eingegangen: Für einen Liter Milch bekommen die Bauern 45 Pfennig, in den alten Bundesländern sind es über 60. Weite Wege bis zur Verarbeitung drücken den Preis.
Aber die Großhennersdorfer jubeln doch, als am Horizont der Hubschrauber auftaucht und der Kanzler seinen Kopf aus dem Cockpit reckt. Kohl schwimmt dankbar durch die Menge und verschwindet mit der Bonner Lobby in Haschkes Haus.
Vor der Tür debattieren die Bauern über diejenigen, die sich selbstständig machen wollten und schließlich doch noch vor den enormen Lasten zurückgeschreckt sind. „700.000 Mark Kredit für Technik und die ganze Wirtschaft, weißt Du, wieviel Zinsen ich dann jeden Morgen nach dem Aufstehen erarbeiten müßte?“ Werner Schneider aus Wittichendorf gesteht: „Ich hatte gedacht, daß ich es als Selbständiger schaffen werde.“ Ihm gehören 33 Hektar; auf zwei Hektar hatte die Genossenschaft einen großen Stall gebaut. Für diese zwei Hektar rechnete er sich eine angemessene Entschädigung aus, er wartet bis heute. Inzwischen war er im Westen und hat Technik eingekauft. Eine Starthilfe bekommt er nicht, da müßte er mindestens 100 Hektar haben oder zu den 30 Hektar noch 40 Milchkühe halten. Aber sein Stall ist marode, eine neue Melkanlage kostet 40.000 Mark. „Das ist mit 54 Jahren für mich gewagt.“ Ob er noch Land pachtet oder lieber mit 55 in den Vorruhestand geht, weiß er noch nicht.
Um ein Drittel ist innerhalb die Zahl der Beschäftigten in der sächsischen Landwirtschaft im letzten Jahr zurückgegangen. Von den einst 733 LPGs in Sachsen wurden 51 aufgelöst, 31 machten pleite, 35 stehen vor dem Konkurs. Nur etwa jeder zehnte Bauer will eine eigene Wirtschaft aufbauen.
Viele Produktionsgenossenschaften können nicht einmal den Inventarbeitrag auszahlen: So starten sie mit drückenden Schulden. 2.100 neue Höfe hat Staatsminister Jähnichen gezählt, die acht Prozent der landwirtschaftichen Fläche bearbeiten. Aufgeregt stoßen die Eibauer Milchkühe ihre Köpfe zusammen. So ein Gedrängel ist ihnen noch nie vor die Weide gekommen. Jetzt steigt auch noch der ganze Pulk über den Draht. Kaum daß er den frischen Fladen ausweichen kann, stapft der Kanzler in die Arena und gibt den Eibauer Bauern eine Probe seines landwirtschaftlichen Grundwissens. Vor der etwas nervös wiederkäuenden Kuh-lisse verteilt er an die Bauern einer frisch umstrukturierten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Hoffnungsbonbons. Der genossenschaftsvorsitzende Gotthans berichtet dem Kanzler: Im Januar 1990 gehörten der LPG noch 3.000 Milchkühe, bis auf 1.800 Kühe will die Genossenschaft noch abbauen.
Im Speisesaal der LPG Großwelke moderiert Haschke ein Gespräch zwischen den Bonner Gesandten und Oberlausitzer Bauern. Kohl räumt schwierige Zeiten für die ostdeutschen Landwirte ein, die vom europäischen Einigungsprozeß noch verschärft würden. Doch die „Bauern dürfen nicht die Lastesel der künftigen Entwicklung Deutschlands werden“. Es habe ihn, den Kanzler, „nie besonders geschert“, wegen der Subventionen für die Landwirtschaft beschimpft zu werden.
An die Bauernrunde gewandt schmeichelt Kohl: „Nicht jene, die auf Straßen und Plätzen demonstrieren, halten die Felder und Wälder in Ordnung, sondern die sich schaffen bei Wind und Wetter.“ Ob er mit „jenen“ auch die arbeitslosen TextilarbeiterInnen und die von Robur Zittau Entlassenen meint, läßt er offen. Immerhin waren das, neben der Landwirtschaft, die größten Arbeitgeber der Region.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen