: Atomindustrie will AKW Kosloduj retten
Neue Informationen über die Zustände im bulgarischen AKW/ Französische und deutsche Experten helfen in Bulgarien/ Bedienungsmannschaften sind „ahnungslos und ohne jede Sicherheitskultur“ ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) — Deutsche und westeuropäische AKW-Betreiber versuchen mit aller Gewalt, die vier bulgarischen 440-Megawatt-AKWs in Kosloduj am Leben zu erhalten. In den Reaktoren selbst sieht es dagegen nach Information der taz aus wie bei Hempels unterm Sofa. Jaques Butheret, Chef der westeuropäischen Dependance der Reaktorbetreiber (World Association of Nuclear Operators — WANO) sagte der taz: „Viele Sicherungskästen sind nicht abgedeckt“, die Elektrizität sei häufig nicht geerdet, und die elektrischen Leitungen nicht korrekt verlegt. Es bestehe reale Feuergefahr. Zudem würden im Reaktorgebäude Holzplanken herumstehen. „Dies sind keine Designprobleme“, schimpfte der Atomlobbyist, in dem Atomkomplex an der Donau müsse schlicht „aufgeräumt“ werden.
Französische Experten des Atomkomplexes Bugey bei Lyon betreiben schon seit Wochen „active twinning“, das heißt einen Austausch von Personal mit den bulgarischen Reaktorbetreibern. An der Spitze des Teams, daß sich derzeit in Bulgarien aufhalte, steht der Atomtechniker Longuet. Das französische Team soll nach Angaben Burtherets die „Hauptprobleme des Reaktors analysieren und Lösungsvorschläge machen“. Auch im Atomzentrum Bugey stehen fünf Druckwasserreaktoren am Fluß, der Rhone.
Die größten Sorgen macht den in der Pariser Dependance der WANO zusammengeschlossenen westeuropäischen Betreibern natürlich das Reaktormanagement in Bulgarien. Burtheret beklagte ganz generell das „völlige Fehlen von Kenntnissen und das völlige Fehlen von Sicherheitskultur“ bei den bulgarischen Bedienungsmannschaften.
Wichtige Rolle des RWE
Zur Hilfe für die Bulgaren habe die WANO inzwischen ein Trainingsprogramm für die Bedienungsmannschaften und die Lieferung von Ersatzteilen für Kosloduj angeleiert. Kostenlose Ersatzteile im „Buchwert“ von rund 19 Millionen Mark sollen aus Greifswald kommen. Das RWE bestätigt, daß die Teile von der staatlichen Atomanlage in Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung gestellt werden. RWE-Vorstand Werner Hlubeck ist Verwaltungsratsvorsitzender der WANO Paris. Zuvor hatte Greenpeace berichtet, daß Bundesumweltminister Töpfer „mit der Lieferung von Anlagenteilen aus dem stillgelegten AKW Greifswald in Wahrheit eine Nachrüstung des unfallgefährdeten Kernkraftwerks“ betreibe. Das Umweltministerium hingegen betonte, die deutsche Hilfe dürfe nicht dazu dienen, die bulgarischen AKWs weiterzubetreiben. Ziel müsse vielmehr sein, die Reaktoren „in abgeschaltetem Zustand sicherzuhalten“.
WANO arbeitet ohnehin seit einem halben Jahr an einem „Ertüchtigungsprogramm“ für alle Reaktoren der sowjetischen 440-MW-Baureihe, erklärte gestern ein RWE- Vertreter. Vorstand Hlubeck kümmere sich darum. Für das bulgarische AKW solle ein Beratungsteam von rund zehn Personen zusammengestellt werden. Dagegen werde der Greifswalder Cheftechniker Bernd Volkmann heute aus Bulgarien zurückkehren (taz 4.7. 91).
Das WANO-Arbeitsprogramm für die 440-Megawatt-Reaktoren, das sehr teure Nachrüstungen vorsehe, greife natürlich nur, wenn die Reaktoren weiterbetrieben werden sollten. Auch nachgerüstete bulgarische Reaktoren würden aber westlichen Sicherheitsstandards nicht entsprechen.
Die Atomindustriellen sind trotzdem optimistisch: Abschalten könnten die Bulgaren die gefährlichen Schrottmeiler nicht. Die bulgarische Stromversorgung würde sofort zusammenbrechen, so Butheret. Beim RWE war man zudem sehr skeptisch, daß Stromlieferungen aus dem Westen nach Bulgarien in nennenswertem Umfang gelingen könnten. Es gebe ein technisches Nadelöhr durch die unterschiedlichen west- und osteuropäischen Netze und die wenigen Verbindungen zwischen beiden. In Bulgarien müßten aber bei einer Abschaltung im kommenden Winter 1.000 bis 1.400 Megawatt Atomstrom ersetzt werden. Möglicherweise könne man die Ersatzenergie für Bulgarien im Osten bereitstellen. Auch in Moskau gibt es ein WANO-Zentrum.
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